Vietnam

Vietnam mit dem Fahrrad

Im Land der Zweiräder unterwegs

Bier vom Fass ist im Norden Vietnams ebenso beliebt wie in Bayern aber mit 12 Cent für das Glas um einiges billiger. So sitze ich am Straßenrand in einem der vielen Bierlokale in Hanoi und mache mir meine Gedanken über meine 5-wöchige Reise mit dem Mountainbike durch dieses Land. 
Meine Entscheidung von Süden nach Norden, also von Saigon nach Hanoi zu radeln, war mit den steigenden Temperaturen im Mekong Dalta des äußersten Südens begründet. Letztlich war ich mit dieser Entscheidung richtig gelegen, da Anfang März die Hitze dort noch erträglich war. Aber ich reise gen Norden immer weiter in ein Land das vom Sozialismus geprägt ist. Und so wurden mit jedem Kilometer die Straßen schlechter und der Unterschied zum westlich orientierten Süden größer. In Vietnam tauchte ich in eine mir völlig fremde Welt ein. Oft schien es so, als ob hier die Zeit stehengeblieben ist. Es ist kaum vorstellbar, wie hart hier einige Menschen arbeiten um für 50 bis 100 Euro im Monat ihre Familie zu ernähren. Oft sind es die Frauen, die im Straßenbau dafür Knochenarbeit leisten und den ganzen Tag Steine schleppen. Und irgendwie bin ich auch wieder froh in meine vertraute Welt zurück zu kehren. Wenn man ständig das Interesse der Bevölkerung auf sich zieht, mindestens 50mal am Tag mit „Hallo” zurückgrüßen soll, kann das mit der Zeit auf die Nerven gehen. Dazu der permanente Lärm auf den Straßen. Ich traf ein Paar aus Taiwan, die ebenfalls mit ihrem Bike unterwegs waren. Sie haben wegen diesem Lärmpegel ihre gesamte Tour aufgegeben.
Doch die Eindrücke, die ich mit auf die Heimreise nehme sind ungeheuer vielfältig.
Das Mekong-Delta, die Berglandschaft um Sapa, die Gegend um Ninh Binh und schließlich die bekannte Ha Long Bucht, haben mir landschaftlich mit am besten gefallen. Ich möchte sogar sagen, dass die Ha Long Bucht zu den großartigsten Landschaftseindrücken gehören, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe. Hanoi und Hue habe ich zu meinen Lieblingsstädten ausgewählt. Besonders Hue hat neben den touristischen Annehmlichkeiten seinen besonderen Flair bewahrt. Doch meine Gedanken gehen zurück zum Tag meiner Ankunft in Saigon...

...Mit wenigen Handgriffen mache ich mein MTB am Flughafen Saigon startklar. Ich bin bereit in ein neues Abenteuer einzutauchen; in ein Land über das ich bisher wenig gelesen und noch weniger Vorstellung habe. Ich ordne mich in die Masse der Zweiradfahrer ein. Die Richtung in die City kenne ich nicht und so lasse ich mich im Verkehrsstrom mittreiben. An ein Wendemanöver ist sowieso nicht zu denken. Mein erster Kontakt zu einem Vietnamesen, bei dem ich mit Händen und Füßen versuche verständlich zu machen, macht mir klar, dass ich wohl in falscher Richtung unterwegs bin. Aber wie will ich bei diesem Verkehr umdrehen? Ich fahre einfach gegen die Fahrtrichtung, versuche jede mögliche Lücke zu nutzen um wieder auf die rechte Seite zu gelangen. Was wie ein Abenteuer anmutet, steht mir an jeder weiteren Kreuzung bevor. Ich habe das Gefühl an jeder Kreuzung vom Verkehr geradezu eingesaugt und in der richtigen Richtung wieder ausgespuckt zu werden. Ein Cyclo-Fahrer den ich um Hilfe bitte, eskortiert mich in eine Straße mit vielen kleinen Hotels und Minihotels. Mit Stolz zeigt er mir auf der Fahrt, wie man sich hier mit dem Verkehr zurechtfindet. Geschafft – mein erstes Ziel habe ich erreicht. 

Außer dem gleichnamigen Bier hat Saigon natürlich noch einiges mehr zu bieten. Aber zur Erfrischung brauche ich erst mal einen kühlen Schluck. Dass im Bierglas im südlichen Vietnam immer ein riesiger Eisbrocken zur Kühlung steckt stört mich heute noch nicht, aber nach einigen Tagen entschließe ich mich, das Bier lieber lauwarm als noch mehr verwässert zu trinken.    
Hier in Saigon wie auch im restlichen Land sind auffallend viele Jugendliche und Schüler unterwegs. In ihren einheitlichen Schuluniformen fallen sie besonders auf. Vor allem der Aoi Dai wirkt bei den jungen Vietnamesinnen sehr elegant. Das Schulsystem scheint zu funktionieren und selbst am Abend werden noch überall viele Schulungen und Kurse angeboten. So ist gerade bei jungen Vietnamesen die Bereitschaft vorhanden Englisch zu lernen und bei jeder Gelegenheit auch zu sprechen. Doch ist es oftmals sehr schwer zu verstehen, es klingt als würden sie ihre Sätze musikalisch untermalen.   
Am meisten beeindrucken mich aber noch immer die chaotischen Verkehrsverhältnisse in Saigon. Gerade zur Rush-Hour werden die Straßen zum lärmenden und stinkenden Abenteuerspielplatz von Millionen von Menschen. Es gibt eigentlich nur zwei Verkehrsregeln. Fahre rechts und halte bei Rot. Beide Regeln treffen nicht immer zu, aber sie erhöhen die Chance zu überleben doch erheblich. Der Lärm und Gestank ist unerträglich und erklärt auch warum so viele Menschen in Vietnam den ganzen Tag mit Mundschutz unterwegs sind. Doch ich muss gestehen es macht mir langsam auch Spass, sich hier in das tägliche Chaos zu stürzen.
Das Vietnam eine Hochburg für Mopeds und Fahrräder ist lässt sich auch daran erkennen, dass es im ganzen Land bewachte Parkplätze für die Zweiräder gibt. Für Centbeträge lassen sich die Untersätze sicher verwahren. Mein zweites Schloss hätte ich wohl nicht mitnehmen müssen.
Abends kommen aus allen Ecken Saigons die Putzkolonnen und beseitigen den Abfall der sich tagsüber in den Straßen sammelt. Arbeitsbeschaffung in Vietnam angesichts der Tatsache, dass Abfalleimer eher ein Mangel im Stadtbild sind. Ich sehe sehr viele kranke und verkrüppelte Menschen. Das sind noch die Folgen des unmenschlichen und sinnlosen Vietnamkrieges, als der Süden mit amerikanischer Unterstützung gegen den Norden kämpfte. Aber anders als in Europa gibt es hier nur geringe medizinische Versorgung. Und so sitzen Menschen ohne Arme und Beine am Boden oder bewegen sich mit Hilfe eines primitiven Untersatzes mit ihren verkrüppelten Armen voran. Doch auch sie nehmen intensiv am Alltagsgeschehen teil und werden auch von ihren Mitmenschen herzlich aufgenommen. Mir fällt es schwer, diese Menschen zu bemitleiden. Bekommen sie doch das, was nicht mit der besten medizinischen Versorgung zu erreichen wäre – sie werden wertgeschätzt.
Ich fahre nach Cho Lon. Das was früher neben Saigon eine zweite Stadt war, wurde nach dem Krieg in Ho-Chi-Minh-Stadt integriert. Cho Lon ist wie ein riesiger Markt. Hier, aber auch auf der weiteren Reise durch das gesamte Land, fällt dem Europäer die unwürdige Behandlung ihrer Nutztiere auf. Zusammengepfercht auf engstem Raum und in sengender Hitze müssen Hühner, Schweine und andere Tiere dem Tode nahe dahinvegetieren. Mir fällt es schwer das alles mit ansehen zu müssen. 
Es geht ins Mekong-Delta nach Süden. My Tho, Can Tho, Chau Doc heißen meine Reisestationen in die Reiskammer des Südens. Schon in den ersten Tagen beschließe ich meinen Tagesablauf auf die frühen Morgenstunden zu verschieben. Bereits um 5.00 bis 5.30 Uhr stehe ich auf und spätestens ab 6.00 Uhr bin ich auf dem Rad. Die Hitze ab Mittag ist für Radfahrer unerträglich und so habe ich bereits um diese Zeit mein Tagewerk an Radkilometer vollbracht. Aber nicht nur ich bin um diese Zeit schon auf den Füßen (bzw. auf dem Rad), auch ganz Vietnam scheint die Nacht zum Tage zu machen. Man sieht Kinder Fußballspielen, andere spielen Federball, joggen oder führen ihr beliebtes Morgengymnastik durch. Überall wird bereits gekocht und gegessen. Über Lautsprecher dröhnt ab 6.00 Uhr Musik und anschließend die Nachrichten in einer Lautstärke durch die Stadt, die einem die Entscheidung früh aufzustehen ohnehin abnimmt. In der Morgendämmerung ist das Leben auf den Straßen in vollem Gang. Aber auch sonst sind die Menschen im Deltabereich ungeheuer interessant. Alles findet irgendwie auf dem Wasser statt. Die Floating Market (Märkte auf den Flüssen des Mekongs) sind schon eine Touristenattraktion. Und wenn nicht auf dem Wasser dann spielt sich das Leben auf der Straße ab. Thuy fährt mich im Boot durch die Flüsse zu den Märkten. Allein die Fahrt dorthin vermittelt einen interessanten Einblick in das Leben im Delta. Thuy ist alleinerziehend und verdient sich mit diesen Touren ihren Lebensunterhalt. Sie lädt mich auch am Abend zu ihrer Familie ein. Da ich aber am Vortag durch meine bayerische Flagge am Rad zwei Deutsche kennenlernte, habe ich den Abend bereits mit ihnen reserviert. 
In Can Tho nehme ich mir ein Zimmer im Haus einer Familie. In Vietnam lebt die gesamte Familie in einem kleinen Haus oder in einigen Zimmern eng zusammen. Das Wohnzimmer ist gleichzeitig Ess- und Schlafzimmer und die weiteren Räume werden wie hier untervermietet. Der Fernseher hat in den meisten Familien bereits einen wichtigen Platz eingenommen, aber als Gemeinschaftserlebnis sind die Bars mit laufendem Fernsehprogramm bereits früh morgens sehr beliebt. 
Bei meiner Fahrt nach Chau Doc gerate ich mit meinem Bike immer mehr zur Attraktion der dort lebenden Bevölkerung. Vor allem von den Kinderaugen werde ich auf Schritt und Tritt verfolgt. Sobald ich stehenbleibe, stehen die Menschen um mich herum und betrachten jede Schraube am Fahrrad. Der km-Zähler, das Schloss und meine bayerische Flagge finden dabei immer besondere Beachtung. Die Kinder streichen mit ihren Händen immer wieder über meine Behaarung an den Armen und Beinen. 

Als ich den 230 m hohen Berg Nui Sam hinaufradle und damit das MTB erstmalig mit seinen Möglichkeiten nutze, finde ich mich plötzlich in der Rolle als gefragtes Fotomodell wieder. Aber damit habe ich sicher keine Probleme – gern lasse ich mich mit den beeindruckten Vietnamesen ablichten.
In Chau Doc leben die meisten Menschen in Hütten, die für unsere westlichen Ansprüche allenfalls als Tierbehausung dienen würden. Anders als die traurigen Kinderaugen in Afrika, strahlen sie hier Fröhlichkeit aus. Aber trotz der Armut wird mir keine bettelnde Hand entgegengestreckt. 
Auch hier fühle ich mich wieder bestätigt, welchen Vorteil mein Bike bietet, indem ich in die Gassen der Wohnviertel einfach hinein radeln kann. Und sicherer als in einer Großstadt fühle ich mich hier allemal. 
Selbst hier in Chau Doc kann ich meine elektronische Post im Internet für wenige Pfennige versenden. Auch wenn der einzige Internettreff immer wieder wegen Stromausfall abstürzt. 

Um Zeit zu sparen fahre ich mit dem Bus die gleiche Strecke (eine andere Straßenverbindung gibt es auch nicht) wieder zurück nach Saigon. Jetzt erst spüre ich so recht die vielen Schlaglöcher. Aber es ist schon interessant, wie hier der Müll während der Fahrt entsorgt wird. Er wird einfach alles aus dem Fenster geworfen – Becher, Tüten, Flaschen - für uns als umweltbewusste Europäer ist das wirklich eine Sünde.

Zurück in Saigon breche ich am Morgen in Richtung La Dat auf. La Dat liegt 1400 m hoch und ist vom Klima deshalb auch kühler als der äußerste Süden. Es werden vermutlich 3 anstrengende Tage. Verglichen mit meiner Raddurchquerung von Swasiland, sind es hier trotzdem leichte Etappen. Die Unterkünfte auf den Etappen sind nicht immer sehr anspruchsvoll, doch mein mitgebrachtes Zelt muss ich bisher noch nicht in Anspruch nehmen – auch wenn ich manchmal vorziehe auf dem Fußboden mit Isomatte und Schlafsack zu nächtigen.
La Dat wird im Reiseführer als Zufluchtsort bezeichnet, um aus der Hitze und Hektik der Städte Vietnams zu entfliehen. Auch wenn die Stadt landschaftlich sehr schön am Ho Xuan Hong See liegt, trägt der Tourismus und seine Auswirkungen doch schon sehr negativ zum Gesamtbild der Stadt bei. Der riesige Markt in La Dat ist jedoch äußerst sehenswert. Hier kann man alles bekommen, sogar Erdbeeren finde ich unter den Angeboten der vielen Marktstände. 
Die Vorfreude, die mühsam erradelten Pässe wieder hinunter zu rasen, wird wegen den extrem schlechten Straßenverhältnissen zur Belastungsprobe für Mensch und Material, so dass ich in Pahn Rang erst einmal sämtliche Schrauben nachziehen muss.
Jetzt Mittag um 12.00 Uhr will ich mit dem Zug nach Nha Trang, da hier die einzige Bahnverbindung nach Hanoi verläuft. Als ich erfahre, dass der nächste Zug erst gegen 18.00 Uhr fährt, beschließe ich diese Strecke mit dem Bus zu fahren. Eigentlich sollte der um 14.00 Uhr losfahren, doch erst mit einer Stunde Verspätung setzt sich der Bus in Bewegung. Aber nicht mit dem Ziel Nah Trang, nein sondern um irgendwelche Lebensmittel sämtlicher Bauern dieser Gegend einzusammeln. Zugepackt bis zur Unterkannte des Daches und darüber hinaus geht es nun los – halt mit 3 Stunden Verspätung.
In Nha Trang der ersten Station am Meer fängt es auch zum ersten Mal zu regnen an. Zeitweise regnet es jetzt wie aus Eimern oder wie die Briten zu sagen pflegen „It´s raining cats and dogs”. Hier spüre ich auch erstmals die drückende Schwüle. So nutze ich die ersten Tage am Strand nicht zum baden, sondern notiere mir meine Eindrücke der letzten 10 Tage und abends kann ich beim Inder nebenan hervorragend essen. 
Mit dem 7.00 Uhr Zug fahre ich nach Da Nang. ”Soft seated” sage ich nachdem mich die Bahnangestellte mit verschlafenen Augen danach fragt. Für mein Bike muß ich etwas extra berappen. Es gibt 5 verschiedene Reiseklassen. Hard seated, soft seated, hard sleeper, soft sleeper und soft sleeper exclusiv. Natürlich gibt es eine eigene Preiskategorie für Touristen. Da ich aber tagsüber unterwegs bin und die landschaftlichen Eindrücke nicht verpassen möchte, entscheide ich mich für die sitzende Variante. Der Zug fährt ein und der Regen beginnt wieder stärker zu werden. Neben mir sitzt eine alte Vietnamesin und grinst mich mit ihren verbliebenen 3 schwarzen Zähnen an. Die nächsten 13 Stunden wird sie meine Reisebegleiterin sein. Schon nach wenigen Minuten wird mir klar, dass ich zum Gesprächsthema des ganzen Waggons geworden bin – nur kann sich niemand mit mir unterhalten. Alle schauen mich nur freundlich an. 
Die Landschaft bietet mir Reisfelder so weit das Auge reicht – d.h. soweit man bei diesem Dauerregen sehen kann. Der Regen bedrückt doch merklich meine Stimmung. Leider sind vor jedem Fenster auch noch Gitter angebracht, fast wie in einem Gefängnis. Dazu kommt das ratternde Geräusch der Schienenstöße, die mir nicht mal erlauben Musik aus meinem Walkman zu hören. Bahn fahren ist in Vietnam wirklich kein Vergnügen. Jeder Gast erhält ein Getränk und 2 Speisen. Mittags gibt’s Reis, fettes Schweinefleisch und Gemüse. Abends Gemüse, fettes Schweinefleisch und Reis. Meinen Geschmack trifft es nicht, aber meiner Begleiterin zur Rechten scheint es sichtlich zu schmecken. Nachdem ein Gast mit geringen Sprachkenntnissen in Englisch zugestiegen ist, versucht eine ältere Frau mir ihre Tochter anzupreisen. Sie und ihre Tochter daneben bieten mir Snacks und Getränke an und wollen wissen, ob ich sie sympathisch finde. Aber jede Zugfahrt geht einmal zu Ende. 
Der Himmel hat etwas aufgeklart – Hoffnung kommt auf. In Da Nang sind kaum Touristen und so werden mir auch die Nachteile richtig bewusst. Keine Wegweiser an den Straßen, keine Restaurants, miserabler Hotelstandard und dazu kein Mensch der mich versteht. Einzelne kleine Kaffees haben nicht mal ´ne Getränkekarte. Kaffee, Bier oder Cola – die Wahl fällt mir nicht schwer. So ein klein wenig Tourismus ist ja doch nicht schlecht, denke ich mir. So schlage ich mich halt mit Gebäck und Bier durch den Tag.
Am nächsten Tag geht’s nach Hoi An. Es fängt zu regnen an und nach kurzer Zeit gießt es in strömen. Ich bin nass bis auf die Knochen und meine Straßenkarte ist in vielen Einzelstücken zerrissen. Aber hier in Hoi An gibt es einige kulturelle Höhepunkte zu sehen, deshalb sind die Straßen auch voller Touristen. Es gibt aber auch wieder Restaurants und Menschen die mich verstehen. 
Der Nachmittag kommt und die Sonne kehrt zurück - endlich. Von Da Nang starte ich schon sehr früh nach Hue, denn der Wolkenpass erwartet mich. Mit Rückenwind geht es gut voran. Der Pass ist sicher anstrengend – immerhin sind auf kurzer Distanz 500 Höhenmeter zu bewältigen, aber dafür ist ein Mountainbike ja geschaffen. Schweißgebadet oben angekommen will sich ein Tourist mit mir ablichten lassen – das kenne ich bereits. Nachdem ich an der Lan Con Beach eine Pause einlege und den Traumstrand genießen kann, bin ich auf der Fahrt nach Hue. Hier begegnen mir erstmals andere Traveller mit Bike. Derek und Jane aus Kanada sind seit Weihnachten unterwegs und wollen auch durch Laos, Kambotscha und Thailand radeln. Ein Jahr haben sie sich dafür vorgenommen. In der jetzt doch heißen Tageszeit machen sie schon einen ziemlich geschafften Eindruck.
Trotz ihrer „High-Tech“ Räder fehlen ihnen so wichtige Einzelheiten wie Schutzbleche und die Hörner am Lenkrad. Auch wenn sie mich darum beneiden, kann ich ihnen hier nicht weiterhelfen. Nur 2 Stunden später kommen mir Mo und Dustin aus Berlin und New York entgegen. Mit den beiden kann ich mich auf Deutsch unterhalten. ”Regt dich das ständige Hallo auch so auf?” fragen mich die beiden. In der Tat es nervt doch ungemein. Man muß sich nur mal vorstellen jeden Tag 50 – 100mal (das ist nicht übertrieben) auf „Hallo!” zu antworten. Mir geht´s jedenfalls genauso. Mo und Dustin sind 6 Monate unterwegs und wundern sich über mein umfangreiches Gepäck. In der Tat die haben die Hälfte an Gepäck dabei – ja nicht mal Bremsen an den Rädern. „Was macht ihr denn die Pässe runter?” will ich wissen. „Da schieben wir!”. Jetzt dachte ich schon ich bin ein wenig verrückt, aber man wird immer wieder von noch Verrückteren getopt. Ihre Tour haben die beiden unter www.2BikesinAsia.com für alle ihre Fans aktuell im Internet. Es kann wohl sein, dass ich etwas mehr bei mir habe, aber bisher war ich noch immer froh darum. Denn auch in so manchen Hotelzimmern sind Schlafsack, Isomatte und Moskitonetz für die Nachtruhe notwendig. 
Hue ist wirklich eine schöne ruhige Stadt. Nicht die Hektik, wie in den anderen Städten und dabei viele Parkanlagen und einige historische Sehenswürdigkeiten. Selbst der Tourismus scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken. Ich denke bisher ist Hue die schönste Stadt auf meiner Reise. Auch das indische Restaurant neben meinem Hotel ist wieder hervorragend. 
Ich beschließe nach 2 Tagen Sightseeing in Hue meinen Stützpunkt für weitere Aktivitäten nach Hanoi zu legen. Mit der Eisenbahn bin ich 16 Stunden unterwegs, deshalb nehme ich einen klimatisierten Waggon. Nach der Hitze zu urteilen ist der Unterschied zu den nicht klimatisierten wohl nur der erhöhte Fahrpreis. Als ich mein Bike abholen will, erklärt man mir ich soll doch in 3 Stunden wiederkommen. Auch wenn in Vietnam alles etwas langsamer geht – irgendwie klappt dann doch alles. Von nun an lasse ich einen Teil meines Gepäcks bei meinen Ausflügen im Hotel zurück. Dass diese Entscheidung sinnvoll war, wird mir klar als ich die extrem schlechten Straßen im Norden befahre. Die Entlastung des vorderen Rades ist hier eine große Hilfe.
Hier in Hanoi scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Verglichen mit Saigon ist Hanoi um Jahre zurück, doch für mich als Besucher ist diese Tatsache durchaus angenehm. Die Seen und Parkanlagen geben Hanoi einen besonderen Flair. Kaum zu glauben, dass es sich um die Hauptstadt Vietnams handelt. 
Ich will unbedingt in die Berge des Nordens. In meiner Reiseplanung lassen sich die 750 km Hin- und Rückweg nicht mehr mit dem Rad organisieren, denn allein für diesen Abstecher würde ich eine Woche benötigen. So nehme ich mir für 3 Tage ein Moped und auf geht’s nach Sapa. „An einem Tag ist der Weg nach Sapa nicht möglich” erklärt mir der Vermieter, doch in 11 Stunden hatte ich die 380 km hinter mir gebracht. Als ich mir ein Zimmer nehme und mein Gesicht im Spiegel sehe, traue ich meinen Augen nicht. Rabenschwarz bin ich von den Abgasen auf der Fahrt hierher. Sapa erreiche ich bei strahlendem Sonnenschein. Die Bergwelt ist beeindruckend. Überall treffe ich jetzt die traditionell gekleideten Hmongs. Das Lebend dieser Menschen kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, aber es muss verdammt hart sein. Sapa scheint mehr Hotels und Restaurants zu haben als Einwohner. Hmong Frauen bieten auf Schritt und Tritt ihre Ware an und trotz des Rummels fühle ich mich recht wohl in dem Dorf. Für meine Fotoaufnahmen sind die Frauen und Kinder sehr offen, nur bei den Männern gelingt mir kaum eine Aufnahme. 
Am nächsten Morgen bin ich mitten in einer Nebelsuppe, die sich über Nacht gebildet hat. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich die eindrucksvolle Landschaft mit den vielen Reisterrassen fotografieren will, sehe ich meine Hand vor Augen nicht mehr. Ich beschließe bis zum Mittag zu warten. In der Zwischenzeit gönne ich mir nach wiederholtem Drängen eine Rasur beim hiesigen Dorffriseur. Vertrauen ist schon notwendig, wenn er die Klinge seines Rasiermessers ansetzt. Die Nebelsuppe wird nicht besser, selbst wenn ich noch in den Nachmittag hinein warte. Etwas enttäuscht beschließe ich wieder zu Tal zu fahren. Am Nachmittag bekomme ich dafür aber noch einige eindrucksvolle Einblicke in das Leben der Bergdörfer. Selbst die Frauen schuften auf den Feldern extrem hart und haben oftmals noch ihr kleines Kind auf den Rücken gebunden. Hier werden die ungleichen Lebensverhältnisse auf unserem Planeten wieder sichtbar gemacht. Auf dem Rückweg nach Hanoi muss ich nochmals übernachten. Die Quartiere und Speiselokale sind hier auf dem Land sehr schlicht und einfach. Wohnzimmer und Gästeraum sind zusammengelegt und auch das Essen ist nicht für jeden Gaumen das richtige – aber es gibt ja immer noch billiges Bier. 
Der nächste Morgen beginnt mit Nieselregen. So komme ich nach 300 km völlig durchnässt nach Hanoi zurück. 1000 km in 3 Tagen auf dem Moped – das schlaucht ganz schön. Aber die Gewalttour war notwendig um meinen Rückflug hier in Hanoi um eine Woche zu verschieben. Bei Thai Air zücke ich mein Flugticket und habe durch die Nässe nur noch lauter einzelne Scheine in der Hand – sorry, das war peinlich. Bis zum nächsten Tag wird getrocknet: Ticket – Geld – Pass. Und dann geht’s wieder mit dem Rad nach Hai Phong und weiter in die Ha Long Bucht. Wieder erwartet mich dicker Nebel. Ich kann kaum mehr als 100 m sehen, in einem Ort der laut Reiseführer „eine Vietnamreise erst komplett werden lässt”. Doch die Stimmung in der Bucht ist durch den Nebel erst richtig unheimlich. Der Blick aus dem Hotelzimmer am nächsten Morgen verrät den Anbruch eines traumhaft sonnigen Tages. Nach der obligatorischen Touristenbootsfahrt durch die Bucht in Bay Chay setze ich mit der Fähre nach Hong Bay über. Mein Blick geht nach oben, um einen möglichst schönen Aussichtspunkt zu finden. Ein altes Gebäude sticht auf einer Bergspitze heraus – da muß ich hoch. Das Gebäude erweist sich als abbruchreifes Krankenhaus mit einigen Patienten mit denen ich gleich Kontakt schließen kann. Mit Händen und Füßen versuche ich mein Anliegen klar zu machen und bekomme auch gleich die Einladung auf den Balkon der obersten Etage. Der Ausblick übertrifft alles was ich erwartet habe. Hier sitze ich auf dem Balkon und warte auf den Sonnenuntergang. Wenn ich auf der Reise einen Eindruck als traumhaft beschreiben kann, dann ist es dieser. Auch wenn der Pflegestandard des Krankenhauses hier unzumutbar ist, die Patienten haben wohl den schönsten Ausblick aus einem Krankenzimmer den es gibt. 
Mit der Fähre fahre ich nach Hai Phong zurück und am nächsten Tag nach Ninh Bin. Es ist heute mein 39. Geburtstag. Statt einer Geburtstagsfeier gibt es auf der Tagestour riesige Schlaglöcher und am Abend Kekse und Bier, denn Ninh Bin erweist sich nicht als Hochburg für den Gourmet. 
Am 1. April ist Feiertag in Hoa Lu und in der alten Hauptstadt Vietnams scheinen die Menschenmassen einen zu erdrücken. Aber am Nachmittag kann ich bei schönstem Abendlicht die Gegend um Ninh Binh, die auch „trockene Ha Long Bucht” genannt wird, genießen. Die Landschaft hier ist wirklich gigantisch. Ich steige auf einen nahe liegenden Berg in Hoa Lu, um einen tollen Ausblick auf das gesamte Tal zu haben. Mit mir sind ganze Menschenmassen auf dem Weg nach oben. Ich sehe einer Frau mit ihrem kleinen Sohn bettelnd am Rand des kleinen Pfades. So wie der kleine Bub seinen Kopf nach hinten geneigt hat, sieht wer aus wie tot. Mir geht dieser Anblick die nächste Stunde nicht aus dem Kopf, bis ich beide etwas später wieder völlig fidel mitten unter der Menschenmenge sehe. 
Den Abschluss meiner Reise nach ca. 1700 km auf meinem Bike, bildet der Cúc Phu ó ´ng National Park. Dieser Park erweist sich als Balsam für meine lärmgeplagten Ohren. Es ist eine Wohltat, aber nur so lange, bis am Abend die Moskitos anrücken – man kann halt nicht alles haben. 


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