Durban - Victoria Fälle

Von Durban an die Victoria Fälle

Mein erster Solotrip

Aus meinem Tagebuch

Ich habe mir sehr lange und intensiv darüber Gedanken gemacht, ob ich nochmals mit dem Rad nach Afrika zurückkehren soll. Alle Erinnerungen an die Strapazen auf der ersten Reise sind längst vergessen. Nur die vielen interessanten Erlebnisse und Begegnungen sind mir im Gedächtnis geblieben. Und ich hatte ja ursprünglich den Gedanken gefasst, noch viel intensiver mit dem Rad in Afrika einzutauchen. Um irgendwann das Mittelmeer zu erreichen, musste ich schon bald Gedanken machen, wie es weitergeht. Denn die Durchquerung Afrikas war nach wie vor mein großes Ziel.
Im August 1999 ist es dann soweit, ich habe alle Zweifel zur Seite geschoben. Ich stehe reisefertig mit meinem Mountainbike am Flughafen München mit dem Reiseziel Durban. Und diesmal kann ich aus meinen Erfahrungen der ersten Reise zehren. Zunächst musste ich mir im Klaren sein, wieder zu zweit oder diesmal alleine das Abenteuer zu wagen. Das ich mich am ende für einen Solotrip entschieden habe, lag nicht an Peter meinem Reisebegleiter der ersten Reise. Ganz im Gegenteil. Wir kennen uns schon seit unserer Jugend, waren auch vorher bereits über mehrere Wochen zusammen im Urlaub unterwegs und wissen deshalb, dass wir uns gegenseitig respektieren und vor allem, dass wir uns aufeinander verlassen können. Ich wusste auch, dass Peter ein guter Biker ist, ehrgeiziger und für alle Abenteuer offen war. Er würde niemals in einer schwierigen Situation den Kopf verlieren oder mir Vorwürfe machen über Dinge, die sich auf einer ungewissen Fahrradreise einfach ereignen können. Das wir uns gegenseitig sehr gut einschätzen konnten, war mir auf unserer ersten Reise auch ungeheuer wichtig. Doch diesmal standen die Vorzeichen anders. Ich habe dabei die Übernachtung in Stanger oder die letzte Nacht in Johannesburg im Gedächtnis, als wir uns beide nicht mehr sehr sicher fühlten. Und natürlich auch die Ungewissheit, was mich noch weiter nördlich erwartet? Ich wollte einerseits nicht die Verantwortung übernehmen, ihn auf eine weitere Tour überredet zu haben, andererseits bin ich mir auch sicher, alleine die Tour zu überstehen. Ich glaube auch, die Eigenschaft zu besitzen, in kritischen Situationen kühlen Kopf zu bewahren und drohende Konflikte zu deeskalieren. Und auch mein Organisationstalent ist so gut, dass ich kurzfristig auf veränderte Situationen richtig und schnell reagieren kann. Ich entschloss mich also, Peter erst gar nicht zu fragen. Vielleicht hätte er auch gar nicht mehr eingewilligt, ich habe ihn später nie mehr danach gefragt. Und ein anderer Reisepartner wäre mir ohnehin nicht in den Sinn gekommen.
Nachdem ich mir also sicher war alleine zu reisen, musste ich mich um meine Ausrüstung kümmern. Sie wurde zweckoptimiert. Vier gleich große Satteltaschen wurden auf das Vorder- und Hinterrad verteilt. Die Tasche an der Lenkerstange wurde ersatzlos gestrichen. Ein Zweipunktständer angebracht, der es ermöglicht, das Fahrrad stabil abzustellen und eine Rückholfeder zwischen Vorderrad und Rahmen angebracht, damit sich das frei schwingende Vorderrad durch das Gewicht des Gepäckes nicht jedes Mal um über 90 Grad dreht, wenn es auf dem Ständer entlastet ist. Ich achtete darauf nur Fahrradschläuche mit PKW Ventil mitzunehmen. Die ließen sich problemlos an jeder Tankstellen aufpumpen. 
Auch bei den Ersatzteilen und der Ausrüstung, war ich noch vorsichtiger und akribischer bei der Zusammenstellung geworden. Neben den üblichen Ersatzschläuchen hatte ich auch Speichen und einzelne Kettenglieder dabei, einen kompletten Werkzeugsatz und ausreichend Medizin. Als Malariaprophylaxe griff ich wieder auf die bewährten Lariam-Tabletten zurück. Als Flüssigkeitsvorrat habe ich mir zwei Trinkflaschen am Rahmen befestigt, der Rest sollte in den Satteltaschen verstaut werden. Später wurde mir auf meiner Reise klar, dass ich damit einfach zu wenig Flüssigkeit auf dem Rad dabei hatte. Eine ausreichende Menge an Flüssigkeit, die ich mitnehmen konnte, war auf der ersten Reise an der Küste Südafrikas kein Thema. Es gab genügend Möglichkeiten den Tagesbedarf an Flüssigkeit überall zu decken und die Trinkflaschen wieder nachzufüllen. Deshalb achtete ich in der Vorbereitung der neuen Reise auch nicht darauf, mehr Flüssigkeitsbehälter am Rahmen anzubringen. Um mein Fahrrad kümmerte sich wieder mein Freund Hubert, der ein Radgeschäft hat und den ich seit vielen Jahren aus dem Sport kenne. Bei ihm war ich mir sicher, dass ich wieder ein bestens vorbereitetes Material bekomme.  
Meine Reisestrecke soll von Durban durch Swasiland über den Limpopofluss durch Simbabwe bis an die Grenze nach Sambia führen. Ziel meiner Reise ist die Stadt Victoria Falls am berühmten Sambesi Fluss gelegen mit den gleichnamigen Wasserfällen. Von Simbabwe wusste ich nur, dass weiße Siedler gelegentlich Konflikte mit der dortigen Regierung haben. Über mögliche wilde Tiere auf der Strecke, mochte ich mir erst gar keine Gedanken machen. Ich hoffte, dass sich die Tiere ausschließlich in den Reservaten aufhalten. Per E-Mail nahm ich mit der Botschaft von Simbabwe Kontakt auf und informierte mich über mögliche Gefahren einer Radreise durch das Land. Die Antwort war alles andere als ermutigend. Auf wilde Tiere, verrückte LKW Fahrer und gewaltbereite Einheimische, sollte ich mich einstellen. Und sie hatten auch noch einen guten Tipp für mich parat: „Carry as little money as possible“. Auch das hörte sich nicht besonders ermutigend an. Im Nachhinein gestehe ich mir ein, bei Reiseantritt schon ein etwas mulmiges Gefühl gehabt zu haben, aber meine Abenteuerlust und mein Wille weiterzumachen waren eben noch größer. Meine Hoffnung war auch, diesmal schneller aus Durban herauszufinden, nachdem mir die Schwierigkeiten auf der letzten Reise noch in Erinnerung sind, als wir den Weg aus Durban kaum gefunden hatten. 
Nun bin ich also Ende August wieder in Durban. Zum Glück geht mein erster Wunsch auch in Erfüllung. Ich finde diesmal schnell einen Weg durch die Vorstädte aus Durban heraus. Mein Eindruck von Durban, den ich vor zwei Jahren gewonnen hatte, wird auch bei meinem zweiten Besuch bestätigt. Sieht man von der Goldenen Meile, dem Vorzeigestrand der Stadt und der Region KwaZulu Natal ab, ist für meine Empfindung, ein längerer Aufenthalt in Durban reine Zeitverschwendung. Die erste Woche zurück in Südafrika ist von heftigen Regenschauern geprägt. Als Radfahrer ist man natürlich besonders wetterempfindlich. Dauerregen und andauernder Gegenwind bedeuten wettermäßig das Schlimmste was passieren kann. Das Nass von oben und das Spritzwasser von den LKWs frustrieren und dämpfen meine Euphorie zunächst etwas ein. Sämtliche Kleidungsstücke sind irgendwann völlig durchnässt und können nicht mehr richtig getrocknet werden. So habe ich bald die Satteltaschen voll klammer Wäsche und hoffte auf Wetterbesserung. Die stellt sich nach einigen Tagen zum Glück auch ein, als ich in St. Lucia einen Tag „Sonnenstopp“ einlege und bei strahlendem Sonnenschein die komplette Wäsche zum trocken auslege. Zu meiner Erleichterung wird meine Reise nach Norden nicht wie befürchtet gefährlicher, sondern ich habe das Gefühl nach Stanger, wo wir uns auf unseren letzten Reise so unwohl fühlten, ist die Gegend wieder sicherer. Aber schon jetzt beginnt eine Berg- und Talfahrt, die ich schon befürchtet, aber so heftig nicht erwartet habe. Mein Weg führt mich nach Swasiland, ein Land mit gerade mal 1,2 Millionen Einwohner. Ich reise im Lowland ein, also dem Teil des Landes, der vergleichsweise auf niedriger Höhe liegt und damit auch als Malariagebiet gilt. Einige Südafrikaner halten mich für verrückt, mit dem Fahrrad und damit relativ ungeschützt gegen den Stich der Tse-Tse Fliege, die als Überträger von Malaria gilt, hier zu radeln. Glücklicherweise ist die Zeit im August und September eher ungefährlich, denn auch viele Einheimische nehmen in diesen Monaten kein vorbeugendes Mittel gegen die Erkrankung. In der Stadt Big Band treffe ich auf ein nettes weißes Ehepaar, das ich auf der Straße nach möglichen Unterkünften anspreche. Glen und Carol laden mich kurzerhand bei sich zuhause ein. „Du kannst gerne bei uns übernachten. Wir haben genügend Platz und unsere Kinder freuen sich auch, wenn sie sich mit dir unterhalten können“. Ich glaube nicht nur ihre beiden Töchter sind froh, etwas Abwechslung in ihren eintönigen Alltag zu bekommen, sondern auch die beiden selbst. Glen und Carol stammen aus Simbabwe und sind für zwei Jahre in Swasiland. Glen arbeitet in einer führenden Position in der hiesigen Zuckerrohrfabrik. Ein längerer Aufenthalt ist auch für ihn nicht möglich, da alle Arbeitsplätze des Landes ausschließlich von Einheimischen besetzt werden. Nach seiner Zeit als Ausbilder, müssen er und seine Familie das Land wieder verlassen. Dafür steht ein Gesetz des Landes, welches mit dieser umstrittenen Maßnahme dafür sorgen soll, die Arbeitslosigkeit so gering wie möglich zu halten. Doch dieses Land braucht dringend Fachkräfte in Führungspositionen um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Das Gegenteil wird jedoch erreicht, wenn die Fachkräfte nach kurzer Aufenthalt das Land wieder verlassen müssen. So wird es auch Glen, Carol und ihren Kindern ergehen. „Die Einarbeitung dieser Menschen ist äußerst schwierig“ erzählt mir Glen. „Es fehlt ihnen ganz einfach am technischen Verständnis. Diese Menschen sind alle künstlerisch hochbegabt, doch wie Drähte gezogen werden, kann man ihnen nur schwer vermitteln“. In der Tat, jeder Swasi versteht es mühelos aus einem Stück Holz ein Kunstobjekt zu schnitzen. Davon kann ich mich selbst überzeugen. Im ganzen Land sind immer wieder kilometerlange Stände mit den unterschiedlichsten Holzfiguren auf drapiert. Aber dafür fehlt es ihnen einfach an den logischen Denkstrukturen. Der Verkauf von geschnitzten Figuren aus Holz oder weichem Stein ist auch für viele Menschen in Swasiland die einzige Einnahmequelle für ihre Familie. Das merke ich ganz besonders in diesem Land. Ständig werden mir auf meiner Fahrt an den Ständen irgendwelche selbstgemachte Giraffen und sonstige einheimische Tiere angeboten. Dass ich mit dem Fahrrad kaum in der Lage bin, meterhohe Giraffen mitzunehmen, spielt in ihren Augen wohl keine Rolle, auch wenn es sicher sehr lustig aussehen würde. „Außerdem“ sagt mir Glen „ist zwischen Vorarbeitern und dem Rest der Arbeiter keinerlei Autorität aufzubauen“. Kollegen aus der Arbeiterschicht werden als Vorarbeiter einfach nicht akzeptiert. Glen gibt mir vor meiner Weiterfahrt noch einige Tipps mit auf den Weg Wir wollen uns nochmals in Lobamba nahe der Hauptstadt Mbabane treffen, wenn dort das jährliche Umhlange, das Schilffest gefeiert wird. Doch jetzt geht es zunächst in die Highlands. Zuckerrohrfelder prägen über weite Strecken das Land. In den Feldern fühlen sich auch viele Schlangen wohl, so dass sich dieser Platz für ein geschütztes Zeltlager auch nicht anbietet. In der Erntezeit werden regelmäßig die Arbeiter von Schlangen gebissen, einige von ihnen sterben daran. Zum Glück gibt mir Glen auch diesen Tipp noch mit, sonst hätte ich vielleicht doch einmal ein geschütztes Zuckerrohrfeld als Zeltplatz ausgewählt. Dieses Risiko bleibt mir schon mal erspart. Seit 1986 ist König Mswati III Oberhaupt der Monarchie Swasiland, was hier auch gleichzeitig mit der politischen Gewaltausübung verbunden ist. König Mswati III sorgt immer wieder für Schlagzeilen in der internationalen Presse. Einmal hat er ein Sexverbot für Mädchen bis zu einem festgelegten Alter propagiert, ein anders mal macht er von sich reden, als er sich ein eigenes Flugzeug kaufte. In einem Land, in dem die Bevölkerung in größter Armut lebt, ist das kein positives Signal an die Menschen. Auch wegen dem bereits erwähnten Umhlanga- oder Schilffest, das alljährlich im August zu Ehren des regierenden Monarchen stattfindet, stand er bereits mehrfach in der Presse. Er beansprucht das Privileg, jährlich eine Jungfrau als Braut auszuwählen, die er sich auf diesem Fest aussucht. 22 Ehefrauen hat er bereits, aber das ist auch nur eine aktuelle Bestandsaufnahme. Die Zahl könnte sich jedes Jahr weiter erhöhen, denn bei seinem Geburtsjahrgang 1968 dürfte er noch viele weitere Jahre in sein Amt bekleiden.
Schon Tage vor dem eigentlichen Fest sehe und höre ich hunderte Frauen und Mädchen singend auf den LKW Ladeflächen Richtung Lombamba fahren. Dieses Zusammentreffen ist für alle jungen und unverheirateten Mädchen und Frauen, aber natürlich auch für die jungen Männer eines der wenigen Höhepunkte im Jahr. Zu diesem achttägigen Fest treffen sich die Menschen aus allen Teilen des Landes. Mit langen Schilfbündeln ziehen sie durch die Straßen des Dorfes. Zum Höhepunkt des Festes beginnen die Vorbereitungen schon in aller Früh. Mit meinem Rad bin ich mitten unter ihnen und wecke damit natürlich sofort auch das Interesse der Menschen. Als die Veranstaltung schließlich beginnt, tanzen tausende barbusige, leicht und knallbunt bekleidete junge hübsche Frauen im Rhythmus einzelner Gruppen. Einige von ihnen geben den Takt mit Trillerpfeifen vor. Alle anderen bewegen sich synchron im Schritt der Gruppe. In der Hand halten sie häufig eine Machete oder ein langes Messer, welches sonst für die Schilfernte genutzt wird. Es scheint so, als ob jedes Dorf in seiner Darbietung die anderen übertreffen will. Der Tanz ist unverheirateten und noch kinderlosen Mädchen und Frauen vorbehalten. Es ist ein Fest zur Ehrerbietung des Königs, der an diesem Tag natürlich ebenfalls anwesend ist. Aber die wenigen Touristen und das regionale Fernsehen, die ebenfalls vor Ort sind, scheinen am meisten Gefallen an den Darbietungen zu finden. Über Stunden tanzen die Frauen in einem großen offenen Fußballstadion ohne jeden Schutz gegen Sonne. Die brütende Hitze macht mir ziemlich zu schaffen, den Einheimischen scheint es offensichtlich weniger aus zu machen. Selbst die amtierende Miss Swaziland ist an diesem Tag zur Freude vieler Fotografen mit dabei. Sie wird nicht nur von mir zum begehrten Fotoobjekt. Ich denke es ist auch so etwas wie eine traditionelle Partnervermittlungsbörse. Denn wo sonst sind so viele heiratswillige Frauen an einem Ort und wo sonst lassen sich so leicht für die Burschen neue Bekanntschaften machen. Wer jedoch als Ausländer auf die Idee kommt, dort auf Partnersuche zu gehen, sollte schon bereit sein, seine Nationalität zu wechseln, denn das Motto in Swaziland lautet: „Swaziland den Swazis“. König Mswati III trifft am späten Nachmittag ebenfalls ein. Begleitet von mehreren Männern mittleren Alters in ihren traditionellen Gewändern gibt er sich völlig volksnah. Bis auf wenige Meter stehe ich vor ihm und kann Fotos machen, ohne dass mich jemand zurückdrängt. 
Ich treffe auf dem Fest auch wieder Glen und Carol. Beide sind extra für diesen Tag aus Big Bend angereist. Nur ihre beiden Töchter konnten sie nicht überzeugen mitzukommen. „Die haben an solchen traditionellen Festen kein Interesse“, erklärt mir Carol. Bis spät in die Nacht wird gefeiert und am Ende falle ich todmüde in mein Zelt und schlafe tief und fest.       
Am nächsten Tag weiß ich um die Schwere der Steigungen die ich bis nach Piggs Peak zu bewältigen habe. „In Piggs Peak hast du das Schlimmste hinter dich gebracht“. Die Worte von Glen klingen mir noch im Ohr, als ich mich die langen Steigungen mit meinem Rad hoch quäle. LKWs kriechen an mir vorbei und qualmen schwarzen Ruß aus ihren Auspuffanlagen, der sich auf meiner schwitzenden Haut festsetzt. Fahrer schauen mitleidig auf mich herunter, wie ich unter der Last meiner Satteltaschen in der heißen Sonne versuche, gegen jede dieser Steigungen zu siegen. Ihre Gedanken kann ich an ihren Gesichtern lesen. Von Piggs Peak fahre ich über Bulembu am nächsten Tag nach Mbombela und damit zurück nach Südafrika. Der Grenzübergang in Bulembu durch das Josefsdaal stellt eine erhebliche Abkürzung gegenüber der geteerten Hauptstraße MR1 dar. Doch aus den gerade mal 20 Kilometern Sandpiste, die meine Karte ausweisen, werden 60 endlos lange, staubige und steile Kilometer in der Gluthitze des Tages. Als ich 25 Kilometer nach der Abzweigung in Piggs Peak an die Grenzstation in Bulembu komme, denke ich das Schlimmste sei hinter mir. Doch auf die Frage an den Grenzbeamten wie lange die nicht geteerte Straße noch andauert, bekomme ich ein ernüchterndes: „For the next forty or fifty kilometer“. „Noch vierzig bis fünfzig Kilometer“, wiederhole ich frustriert und still in mich hinein. Der Grenzbeamte sieht mir wohl die Fassungslosigkeit an. Ich denke ernsthaft ans umkehren, um anschließend doch noch über die Teerstraße den längeren Weg zu nehmen. Aber die 25 Kilometer wieder zurück radeln? Nein eine Umkehr ist sinnlos. Die Schinderei geht also weiter. Sobald ich aus dem Sattel gehe, findet mein Hinterrad bergauf keinen Halt und rutscht durch, bergab muss ich vorsichtig manövrieren um nicht vom Rad zu fallen. Teilweise schiebe ich auch, um das Material zu schonen. Nie ist mir jemals vorher klar gewesen, dass eine Strecke mit dieser Länge eine echte Herausforderung darstellen kann. Als ich den letzten steilen Anstieg kurz vor Mbombela bezwinge, befinde ich mich bereits 10 Stunden ohne Pause auf dem Sattel und am Ende meiner Kräfte. In Mbombela treffe ich zufällig auf einen Gärtner, der einen Rasen sprengt und bekomme zu meiner Begeisterung an Ort und Stelle auf der Straße eine Dusche. 90 Tageskilometer stehen an diesem Tag auf meinem Zähler, das ergibt einen Durchschnitt von nicht einmal 10 Kilometer in der Stunde. Aber das ist für mich unwichtig geworden, vielmehr freue ich mich an diesem Abend auf mein Bett. Auch am nächsten Tag fahre ich bis Graskop, kurz vor dem Blyde River Canyon, fast nur bergauf. An jedem meiner Finger hat sich inzwischen eine Blase gebildet. Das sind die Folgen meiner Vergesslichkeit, denn bereits am Tag meiner Abfahrt ließ ich meine Fahrradhandschuhe in Durban zurück. Auf dieser Reise werden solche Fehler eben bestraft. Der Blyde River Canyon gehört mit zu den größten und schönsten Canyons der Welt. Am Rande des Canyons erwartet den Besucher ein atemberaubender 800 m tiefer Blick hinab, kilometerweit in Richtung Simbabwe. Der berühmteste aller Nationalparks Südafrikas, der Krüger Nationalpark wird für meine Reiseplanung ein Opfer des Canyons, denn er erstreckt sich über ein großes Gebiet parallel zum Canyon und hätte für mich einen Umweg bedeutet. Doch die schönste Radstrecke schließt sich unmittelbar am höchsten Punkt des Canyons an. Nahezu die gesamte Strecke bis an die Grenze zu Simbabwe fahre ich in rasender Bergabfahrt und kann somit meine Kräfte schonen. Die Berge von Südafrika und Swasiland liegen endlich hinter mir. In Beitbridge fahre ich über die Grenze nach Simbabwe ein. Endlich – so lange war ich in Südafrika unterwegs und irgendwie habe ich es mir so sehr gewünscht, endlich über die Grenze zu fahren und in ein neues Land einzureisen. Natürlich bin ich auch durch Swasiland, aber dieses kleine Land, das wie eine kleine Insel mitten in Südafrika liegt, war nur ein erstes kleines Ziel. Wie viel wichtiger war doch, in ein so riesiges Land wie Simbabwe mit dem Fahrrad einzureisen.
Aber schon am ersten Tag spüre ich die gnadenlose Hitze, die ich auf endlos langer Strecke ohne jeglichen menschlichen Kontakt auf mich nehmen muss. Mir wird sehr schnell klar, was mich hier erwartet. 140 Kilometer ohne Schatten und ohne die Möglichkeit Wasser nachzufüllen, werden für mich zur echten Probe meiner eigenen Motivation. Ich teile die Strecke in Entfernungen ein, die mir Zuhause bekannt sind. So fahre ich im Gedanken die Stecken zwischen zwei Dörfern mehrmals an diesem Tage ab. Ich gönne mir alle 10 Kilometer eine kleine Belohnung, wie z.B. einen Schluck aus meiner Wasserflasche oder eine Banane. Aber ich habe zu wenig Wasservorrat dabei. Am Ende war es dann nur noch ein neuer Kaugummi, den ich alle 5 Kilometer zu mir nehme und mich damit zur Weiterfahrt motiviere. Irgendwann komme ich an einer Bar vorbei, die ich etwa 10 Kilometer vor West Nickelson erreiche. Ein unscheinbarer, kleiner Laden mit einigen wenigen Einheimischen. Genauso, wie man sie vielleicht in amerikanischen Filmen sieht, um die Einsamkeit der Gegend darzustellen. Für mich ist diese Bar der Hauptpreis und der Höhepunkt des Tages. Ein Besucher der Bar bietet mir eine kurze Mitfahrt an, nachdem ich meinen Durst und Hunger mit kühler Cola und steinharten Keksen gestillt hatte. Ich will mir gar nicht erst ausmalen, welchen Eindruck ich auf diese Menschen mache, für verrückt halten sie mich wohl alle. Nach diesem intensiven ersten Tag in Simbabwe, stelle ich mich auf die weiten, menschenleeren Strecken besser ein. Die Straßen sind gut befahrbar, der Linksverkehr stellt wie schon in Südafrika für Radfahrer kein Problem dar, nur die vorbeidonnernden LKWs zwingen mich gelegentlich zum Ausweichmanöver. Meine Streckenplanung stelle ich auf die vorhandenen Übernachtungsmöglichkeiten ein, für den Notfall baue ich mein mitgebrachtes Einmannzelt abseits der Straßen in geschützter Lage auf. Jede Möglichkeit zum Getränkekauf nehme ich jetzt ausgiebig in Anspruch. So lassen sich die Anstrengungen der Reise auf die beste Art kompensieren. Der Matopo und der Hwange Nationalpark liegen auf direktem Wege nach Victoria Falls und so miete ich mir ein Auto für die Abstecher in die eingezäunten Parks. Für Cecil Rhodes den Namensgeber des früheren Rhodesiens, als sich Simbabwe noch unter englischer Kolonialherrschaft befand, war der Matopo Nationalpark eines des schönsten Flecken Afrikas. Seine sterblichen Überreste ließ er in diesem Park am „View of the world“ begraben. Es ist in der Tat ein atemberaubender Blick, der sich an diesem Aussichtspunkt über die Weite Afrikas erstreckt. Ein magischer Ort. Das Grab von Cecil Rhodes ist innerhalb des Nationalparks in einem Fels eingelassen. 
Als ich am Ziel meiner Reise in Victoria Falls ankomme, stellt sich in mir wieder dieses unglaublich tolle Gefühl der Zufriedenheit ein. Ein Gefühl etwas Besonderes erreicht zu haben und jetzt am Ende meiner Reise kann ich die letzten Tage hier in Victoria Falls noch richtig entspannen. Hier habe ich viele Annehmlichkeiten, die ich auf meiner Strecke nie hatte. Doch gleichzeitig fühle ich mich meines besonderen Status als Reisender beraubt. Niemand mehr interessiert sich nach dem „woher“ oder „wohin“ der Reise. Niemand mehr wundert sich über die verrückte Tour eines Weißen auf dem Fahrrad durch Afrika. Niemand interessiert sich für mich. Ich verschwinde wieder in der Anonymität der anderen Touristen. Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass ich hier in einer touristisch geprägten Stadt das erste Mal wieder wahr nehme. Ich bin nur noch einer von vielen. Doch ich fühle mich nach wie vor nicht als Tourist, schließlich habe ich fast 1800 Kilometer abgestrampelt um hier her zu kommen. Ich bin auf einer „ehrlichen Art“ hier her gekommen.
Victoria Falls habe ich mir ganz anders vorgestellt. Viele Touristen tummeln sich hier. Sehr viele von ihnen sind Backpacker, aber auch wohlhabende Afrika Touristen haben sich in die noblen Hotels in der Stadt einquartiert. Die Stadtoberen versuchen inmitten einer armen, trostlosen Gegend ein zweites Las Vegas zu errichten. Ich bin beeindruckt und traurig zugleich, als ich die riesigen Hotelanlagen sehe, die in kürzester Zeit hier entstanden sind. The Kingdom heißt der Komplex, der neben dem ehrwürdigen Victoria Falls Hotel errichtet wurde und dazu beiträgt die Nostalgie der alten Gebäude im viktorianischen Stil vergessen zu machen. Und es werden sicher noch weitere neue Hotelanlagen folgen. Ich will wieder raus aus der Stadt. 
Da ich nur noch wenige Tage vor meinem Rückflug Zeit habe, miete ich mir ein Fahrzeug. Die Strecke bis nach Milibizi zum Kariba See würde ich sonst nicht schaffen. Schon nach wenigen Kilometern Richtung See fahrend, kommen mir die Kinder verdreckt und in zerrissener Kleidung bettelnd entgegen. Der Unterschied zwischen Reichtum und Wohlstand auf der einen Seite und dem Leben am Existenzminimum auf der anderen Seite, ist hier auf so bizarrer Weise innerhalb von nur wenigen Kilometern vergleichbar, wie nur an wenigen Orten auf der Welt. Am See angekommen habe ich immer noch dieses beklemmende Gefühl, das sich bei mir eingestellt hat, als ich Richtung See aufgebrochen bin. Wie sehen nur die Länder auf meiner weiteren Reise nach Norden aus? Ländern die noch ärmer sind als Simbabwe? Ich genieße den wunderschönen afrikanischen Sonnenuntergang am Kariba See, schreibe einige Gedanken in mein Tagebuch und schlafe in meinem spartanisch eingerichteten Zimmer ein. Als ich nach zwei Tagen zurück in Victoria Falls bin, freue ich mich schon, eines der größten und schönsten Naturwunder auf unserer Erde mit eigenen Augen sehen zu können. Die Victoria Falls kündigen sich bereits aus weiter Entfernung durch ein satt klingendes Donnern an. In bis zu 30 km Entfernung ist die Gischt noch zu sehen. Nicht umsonst heißen die Fälle bei den Einheimischen „Mosi Oa Tunya“ – also „der Rauch, der donnert“. Ein kleiner Regenwald in der Nähe hat seine Existenz alleine dem ständigen Sprühnebel zu verdanken. Der erste Europäer, der die Fälle mit eigenen Augen sah, ist der berühmte schottische Missionar David Livingston. Er beschreibt die Wasserfälle als „das Schönste, das er in Afrika je zu Gesicht bekam“. Er benannte die Fälle nach der damaligen britischen Königin Victoria. 110 Meter tief stürzt der Sambesi Fluss, der die Grenze zwischen Simbabwe und Sambia markiert, hier spektakulär in die Tiefe und verwandelt sich dann in einen reisenden Strom der diesen Fluss zu den schwierigsten und interessantesten Rafting Gebieten der Welt werden lässt. Als ich später die Fälle bei einem Rundflug aus der Vogelperspektive sehe, bin ich vom Ausmaß dieses Naturwunders noch mehr beeindruckt als zuvor. Um die vielen spektakulären Aussichtspunkte auf der anderen Flussseite zu sehen, muss man nach Sambia einreisen. An der Grenze zu Sambia kann man ein Tagesvisum beantragen, wenn man genügend Zeit mitbringt. Ich fahre noch wenige Kilometer weiter nach Livingstone, das nach dem gleichnamigen Entdecker dieser Wasserfälle benannt ist und bin überrascht wie wenig touristisch diese kleine Stadt im Gegensatz zu Victoria Falls ausgebaut ist. Keine Hotelanlagen in gigantischer Größe, keine touristische Attraktionen. Selbst der Zugang zu den Wasserfällen ist kaum gesichert und ich kann mich bis an den unmittelbaren Rand der Wasserfälle setzten. Einige nehmen ein Bad, nur Zentimeter vom Abgrund einer der großartigsten Wasserfälle auf dieser Erde. Wo sonst kann man das noch in dieser Form erleben? Aber in Sambia ist dieses kleine Abenteuer kein Problem. Doch wie lange wird diese touristische Abgeschiedenheit wohl noch anhalten?
In der Mitte der Brücke über den Fluss ist die Grenzstation beider Länder. Hier hat sich eine weitere echte Touristenattraktion etabliert. Wer möchte, kann sich 110 Meter tief in die Schlucht stürzen. Bungee Springen ist mittlerweile auch in Simbabwe beliebt und ist neben den Eintrittsgebühren des Nationalparks eine weitere sichere Einnahmequelle geworden. Natürlich kann auch ich nicht der Verlockung des Sprunges widerstehen. Doch ich glaube die 100 Dollar, die ich hierfür investieren muss, haben sich wirklich gelohnt. Es ist für mich ein tolles Gefühl, den Fluss unter mir zu sehen und mit einem Sprung auf ihn zu zurasen. Es war nicht mein erster Bungee Sprung, aber es war bisher sicherlich der Schönste. Doch der abenteuerliche Höhepunkt in Victoria Falls sollte mir noch bevor stehen. Eine „Whitewater-Rafting“ Tour auf dem Sambesi Fluss.

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