Nepal

Im Land der Achttausender

In politisch unruhigen Zeiten in Nepal

Ankunft Internationaler Flughafen Kathmandu. Mit einer Schar weiterer Globetrotter empfängt mich die Stadt durch eine hungernde Meute von Taxifahrern in Erwartung ihrer hilflosen Opfer. Noch fällt mir das Verhandeln schwer, habe ich doch gerade erst einige Rupien gewechselt und mit dem Wechselkurs bin ich noch nicht sehr vertraut. 2 Euro für die Fahrt vom Flughafen ins Kathmandu Guest House. Ich denke für die 15 Minuten Fahrt ins Stadtviertel Thamel ist das ein fairer Preis. Ich steige in sein klappriges Taxi. Die Türe auf meiner Seite lässt sich nur durch leichtes anheben von außen und anschließend massiven Druck schließen. Der schäbige Zustand der Tür spiegelt sich auch im Fahrzeuginneren wieder. Die Fahrt führt mitten in das Herz von Kathmandu. An den Linksverkehr muss ich mich wieder gewöhnen, auch an die vielen Schlaglöcher und das permanente Hupkonzert auf den Strassen. Ich will mir die Strecke zum Flughafen genau einprägen, doch zu häufig biegen wir in immer enger werdende Straßen ein. In Thamel sind wir im Taxi vollständig von den Menschenmassen umschlossen. Im Schritttempo und unter dauernder Betätigung der Hupe kommen wir im Guest House an. Ich bin sehr positiv über die angenehme Atmosphäre der Anlage überrascht. Ein gemütliches Restaurant am Eingang und eine schöne dahinter liegende Gartenanlage tragen zu meiner ersten Begeisterung bei.
Mit meinem geliehenen Fahrrad mache ich mich auf, die Tempelanlagen innerhalb Kathmandus zu erkunden. Ich will zum Budhanath Tempel, der ganz in der nähe des Flughafens liegt. Doch bereits nach wenigen Straßenkreuzungen, Einbahnstrassen und Einkaufsgassen hat mich mein Orientierungssinn vollständig verlassen. Strassenbezeichnungen gibt es nicht und so bewege ich mich zwischen stinkenden Mopeds, Autos und Bussen immer auf der Suche Richtung Airport. „To the airport?“ frage ich an jeder Kreuzung und bekomme immer ein freundliches Lächeln mit einer Handbewegung zur Beantwortung meiner Frage. Auch in den nächsten Tagen verfranze ich mich immer wieder im Labyrinth der engen Gassen und Straßen der Stadt. Doch die freundlichen Einwohner Nepals lassen mich auf meinen Irrfahrten nie im Stich. 
Budhanath wird vorwiegend von tibetanischen Buddhisten verehrt, ist über 2000 Jahre alt und ist die Anlage mit der größten Stupa in Nepal. Ich treffe Danzen Lama. Er kommt täglich hierher zum Gebet. Dreimal umrunde ich mit ihm die Stupa, natürlich im Uhrzeigersinn denn das bringt Glück sagt mir Danzen. Mit einigen Rupies, betont er, kann ich aber dem Glück auch noch ein wenig nachhelfen. Ich radle zurück und bin sofort wieder mitten im Gestank der Autos und Mopeds. 
Am Abend bin ich in Thamel in einem der vielen Internetkaffees. Gerade mal 30 Cent kostet mich hier die Stunde im weltweiten Netz. Dass der Zugang zum einschlafen langsam ist, nehme ich noch gelassen hin. Als jedoch plötzlich um 21.00 Uhr der Strom abgeschaltet wird, ärgere ich mich schon ein wenig. Diese „power cuts“ sind hier alltäglich, niemand regt sich hierüber mehr auf – außer mir natürlich. Umgehend wird der Generator in Gang gesetzt, den hier fast jedes Hotel, Restaurant oder Kaffee hat. Na also – die Elektronen im Computer fließen wieder und ich schreibe aus dem Gedächtnis noch einmal mein verloren gegangenes Mail.
Am nächsten Tag fahre ich mit dem Rad schon in aller früh zum Nationalen Airport. Wieder lege ich unfreiwillig einige Umwege ein, bin aber noch rechtzeitig beim Start des Mountain Flights, den ich am Vortag noch arrangiert hatte. Das Wetter spielt um diese Jahreszeit für eine ideale Fernsicht selten mit, so auch heute. Wir fliegen vorbei am Dach der Welt, dem Mount Everest. Die Wolken geben ein Stück frei auf die Spitze des Berges. Unter mir das gigantische Gebirgsmassiv des Himalaya. Ich bin fasziniert von dem Anblick.
Auf dem Rückweg besuche ich das höchste hinduistische Heiligtum Nepals den Tempelbezirk Pashupatinath. Am Ufer des heiligen Flusses Bagmati werden Menschen öffentlich verbrannt, damit ihre Seelen Frieden finden und bei der Wiedergeburt hoffentlich ein neues höheres Leben erfahren. Dafür leben viele der Hindus in strenger Askese und Meditation. Hier in Pashupatinath treffe ich viele dieser frommen Sadhus. 
Mirrah ein Sadhu der den Touristen hier gerne als begehrtes Fotomotiv zur Verfügung steht, malt mir die tika auf die Stirn. „For good luck“ sagt er und macht mir klar, dass das Glück auch hier mit einigen Rupien noch viel länger anhält.   
Den dritten großen Tempel Kathmandus Swayambhunath besuche ich noch am Abend. Der Affentempel wie er auch wegen der zahlreichen Affen hier vor Ort bezeichnet wird, ist eines der schönsten und ältesten buddhistischen Tempelanlagen Asiens. Im Mittelpunkt des Tempelplatzes befindet sich die Stupa mit den Augen Buddhas in alle vier Himmelsrichtungen. Batu ein kleiner Junge, der sich neben der Schule noch ein paar Rupien verdienen möchte, zeigt mir die Anlage. „Weißt du wie viele Stufen wir bis zu Anlage hochgehen müssen?“ „Es sind genau 365 – soviel wie Tage im Jahr“, erklärt er mir. Ich zähle nur 352 Stufen, aber wegen dieser Kleinigkeit möchte ich sein Wissen über den Tempel nicht anzweifeln. Auf weitere Zeichnungen auf meiner Stirn verzichte ich mit dem Hinweis darauf, schon genügend Glück mit meinen Rupies erkauft zu haben.
Am nächsten morgen will ich mit dem Bike nach Nagarkot. Dort hat man auf einer Anhöhe von 500 m einen schönen Blick auf die Achttausender des Himalayas. Doch zunächst muss ich wieder durch das stinkende und lärmende Labyrinth Kathmandus. Seit meiner Ankunft hier ist ein riesiges Aufgebot an Militär auf den Straßen präsent. Auch das Auswärtige Amt hat zu Reisen nach Nepal gewarnt. Die aufständischen Maoisten und die Oppositionsparteien üben immer mehr Druck auf König Gyanendra aus. Nachdem er vor einigen Jahren das Regierungskabinett entlassen hat, band er die alleinige Regierungsmacht an sich. Jetzt droht langsam die politische Lage zu eskalieren. 
Ich fahre hinter einem Nepali auf seinem Rad her. Immer wieder hebt er seine Hand zum Gruß der entgegenkommenden Autofahrer. Vielleicht bedeutet der Gruß auch nur – lass mich am leben. Seit fast 2 Stunden bin ich auf dem Rad und hoffe auch auf dem richtigen Weg zu sein. Straßen- und Ortsbezeichnungen sind hier nur sehr spärlich zu finden. Ich frage eine ältere Frau nach dem Weg. Doch sie zeigt in die Richtung, aus der ich gerade komme. Vielleicht hat sie mich falsch verstanden, denke ich mir und setze meine Fahrt fort. Doch nur kurze Zeit später sehe ich, dass ich am Ausgangspunkt meiner Fahrt wieder angekommen bin. Na juhu, ich bin wieder in Kathmandu und seit 2 Stunden im Kreis gefahren. Nachdem ich meinen Frust überwunden habe, beschließe ich meinen Ausflug auf die Königsstadt Bhaktapur zu reduzieren. 10 Dollar kostet hier der Eintritt in die Innenstadt. Die Stadt hat im Kern den mittelalterlichen Charakter über die Jahre bewahrt. Viele Gebäude und Straßen wurden und werden hier renoviert. Ich treffe Son of sol (sein Spitzname) ein 12jähriger Junge. Er spricht wie die meisten seines alters fließend Englisch. Fasziniert sieht er auf meine Haare, wenn er groß, ist möchte er auch gerne so lange Haare haben wie ich. „Naja wenn du groß bist“ tröste ich ihn.
Zurück in Kathmandu reihen sich auf der Hauptstraße vor dem Königspalast eine große Anzahl von Polizisten. Ich stelle mein Fahrrad kurz vor einem Geschäft ab und will mir etwas zu trinken kaufen. Durch die Glasfront behalte ich mein Fahrrad permanent im Augenwinkel. Für einen kurzen Augenblick drehe ich mich um und sehe mit Entsetzen, dass mein Bike vor der Tür verschwunden ist. Panisch stürme ich sofort nach draußen ohne meine Bestellung entgegenzunehmen. Ich frage die Polizisten, ob sie etwas gesehen haben. Unmissverständlich macht mir ein Polizist klar, dass ich sofort vom Gehsteig verschwinden soll. Ich muss wie die anderen ein Geschäft oder einen Innenhof aufsuchen. Kaum bin ich um die nächste Ecke eingebogen, sehe ich auch mein Fahrrad wieder stehen. Heilfroh vom zufälligen Fund meines geliehenen Untersatzes, bleibe ich im Innenhof und warte bis eine Eskorte des Königs an mir vorbeidonnert. Kein Mensch außer Heerscharen von Polizei befindet sich zu diesem Zeitpunkt am Straßenrand. Ich fahre zurück zu meinem Hotel und bereite mich für die morgen beginnende Trekkingtour vor. Dinesh mein Trekkingführer, den ich in Kathmandu angeheuert habe, erklärte mir „Nimm für die 9 Tage nur so viel Gepäck wie notwendig mit“. Doch was soll ich nur aus meinem Reisegepäck entfernen? Außer einer Ersatzhose, einem kleinen Zelt und meiner mitgebrachten Radtasche fällt mir jedoch nicht mehr viel ein. Ich habe immer noch 12 kg Restgewicht für meine Trekkingtour. Eigentlich zuviel, aber ich kann auf der Tour nicht noch mehr entbehren.
An meinem vorläufig letzten Abend in Thamel greife ich auf die Dienste eines Rickschas zurück, um mir ein gutes Restaurant zeigen zu lassen. Erst während der Fahrt erkenne ich bei meiner Unterhaltung mit Thamroth dem Rickscha Fahrer, dass er nicht mehr ganz nüchtern ist. Nachdem wir eine Weile umherirren, frage ich ihn, ob wir unsere Position tauschen können. Kurz darauf sitze ich als Fahrer auf dem Rickscha und fahre ihn wieder zurück nach Thamel. Als Fahrgast macht ihm die Rückfahrt sichtbar mehr Spaß als selbst in die Pedale zu treten. Und auch seine Kollegen haben ihre Freude beim Anblick unseres sonderbaren Gespanns. Wir einigen uns am ende den Fahrpreis gegenseitig zu erlassen.     
Am nächsten Morgen fahre ich mit Denish 7 Stunden mit dem Bus nach Pokhara. Für Frühstück und Mittag werden auf der Fahrt entsprechende Pausen eingelegt. Wie viel mehr würde mir die Fahrt mit meinem Fahrrad gefallen. Hier entlang des Trisuli Flusses gäbe es interessante Fotomotive en masse. Doch leider wurde mir auf meine Anfrage ein Fahrrad auf dem Flug nach Nepal mitzunehmen bei Qatar Air 35 Euro Aufpreis je Kilo Übergepäck genannt. Da kämen sicher einige hundert Euros zusammen. Das rentiert sich bei 3 Wochen Aufenthalt hier sicher nicht. So sitze ich im Bus und sehe alle traumhaft tollen Motive an mir vorbeiziehen. „Wo ist denn das junge chinesische Mädchen vom hinteren Teil des Busses?“ frägt eines der Fahrgäste. Wir hatten sie bei unserem letzten Stopp wohl vergessen. Doch wir sind auch schon wieder zu lange unterwegs um umzudrehen. Sie wird hoffentlich in einen anderen Bus einsteigen und in Pokhara ihr Gepäck, das sich noch auf dem Dach unseres Busses befindet, abholen. 
Heute am 31.März habe ich Geburtstag. Wir fliegen schon sehr früh über das Annapurna Gebirge nach Jomson. Hier auf 2300 m Meereshöhe sehe ich erstmals die riesigen Berggiganten unmittelbar vor mir. Von Jomson aus werden die Dinge des täglichen Bedarfs mit hunderten Eselkaravanen zu den Bergdörfern, durch die wir die nächsten Tage unterwegs sein werden, transportiert. Doch zunächst müssen wir die endlos vielen offiziellen Kontrollen hier in Jomson passieren. „Sobald wir auf die Maoisten stoßen, gelten unsere permits nichts mehr“ erklärt mir Denish, „die stellen eigene permits für die Touristen aus“. „Wie erkennen wir denn die Maoisten?“ will ich wissen. „Sobald sie uns begegnen, wirst du sie erkennen!“, gibt mir Denish Bescheid. Wir laufen heute noch bis nach Kagbeni. Die meisten Trekker kommen uns auf unserer Tour entgegen. Der Annapurna Rundkurs wird fast ausschließlich gegen den Uhrzeigersinn gelaufen, da der Thorung La, mit 5400 m der höchste Pass auf der Tour von der anderen Seite einfacher zu laufen ist. Der Pass steht eigentlich nicht auf unserem Programm, aber ich kann Denish überreden noch einen Tag dranzuhängen, da ich gerne zum ersten Mal in meinem Leben die Höhe von über 5000m erleben möchte. „Von unserer Seite ist der Pass schwierig und steil, aber wir werden es schon schaffen“ ist Denish letztendlich einverstanden. In Kagbeni finde ich den einzigen, aber auch teuersten Internetshop auf meiner gesamten Reise. 5 Dollar knöpfen sie mir hier ab, um gerade mal für 20 Minuten meine Geburtstagsmails anzusehen. Kein Wunder, dass ich hier der Einzige im Shop bin, der vor den liebevoll mit Tischdecken abgedeckten Monitoren sitzt. 
Am nächsten Morgen geht’s zur Einstimmung unserer Passtour, die wir für den Tag darauf geplant haben, nach Muktinath. Bereits nach 90 Minuten haben wir die eine Stunde vor uns gestarteten Trekker eingeholt. Denish erklärt mir, ich soll mein Tempo etwas verlangsamen, doch auch wenn er an der Spitze läuft, werden wir nicht wirklich langsamer. Schließlich erreichen wir in Rekordtempo das 700 m höher gelegene Dorf. Auch Denish ist von den Anstrengungen gezeichnet. Dabei hat er gerade mal 4 Kilogramm Gepäck bei sich. Ich habe das dreifache Gewicht dabei und spüre noch ganz leicht meine Zerrung, die ich schon aus Deutschland mitgebracht habe. Wie mein Guide mit gerade mal 4 Kilo Gepäck auskommt, ist mir schleierhaft. Wir sind hier auf 3500 m Meereshöhe, es wird meine einzige Übernachtung in dieser Höhe sein. Ich habe Zweifel ob meine geringe Akklimatisierung für den Pass morgen ausreicht. Denish ist zuversichtlich. Am Abend bedeckt sich der Himmel, es wird bitter kalt und fängt zu schneien an. „Denish wir haben keine Handschuhe dabei, glaubst du wir können es trotzdem machen?“ frage ich etwas selbst zweifelnd. „Ich denke schon, wir stecken die Hände einfach in unsere Jackentasche“ beruhigt mich Denish. 
Um 5:00 Uhr geht es aus den Federn. Ich habe das Gefühl keine Minute heute Nacht geschlafen zu haben. Unser Gepäck lassen wir in der Hütte zurück. Noch bevor wir mit unseren Taschenlampen beginnen unseren Weg zu suchen, bitte ich Denish den Hausherren zu fragen, ob wir uns hier keine Handschuhe ausborgen können. Dieser Gedanke sollte sich als Glücksfall erweisen, denn ohne Handschuhe hätten wir sicher schon auf halbem Weg umdrehen müssen. Ich gehe zügig voran. Denish hat sichtlich Mühe mein Tempo aufzunehmen, doch seine Zeit sollte später am Tag noch kommen. Schon bei 4000 Meter Höhe haben wir trotz unserer Handschuhe kein Gefühl mehr in unseren Fingern. Unsere Finger sind geschwollen, so müssen wir wegen der eisigen Kälte trotz der Handschuhe in unsere Jackentaschen greifen. Kurz unter der 5000m Grenze wird mir jeder Schritt schwer. Ich bekomme kaum genügend Luft und 100 Höhenmeter erfordern jetzt mehrere Pausen bei mir. Denish ist jetzt ganz dicht hinter mir. Ich weiß er könnte mühelos sein Tempo verschärfen, doch er bleibt an meiner Seite. Für den Notfall hat er heute früh ein paar Knollen Knoblauch eingepackt. „Die wirken vorbeugend gegen das stechende Kopfweh bei Höhenkrankheit“ sagt er mir. Na das wäre jetzt wohl zu spät denke ich mir, aber zum Glück verspüre ich keine Anzeichen eines Schmerzes im Kopf. Dafür habe ich leichte Schwindelgefühle durch meinen schnellen Aufstieg in der dünnen Luft. Innerhalb weniger Minuten zieht der Himmel zu und mein Guide denkt an den Rückmarsch. „Lass uns noch eine Stunde nach oben marschieren“ schlage ich vor. „Falls wir dann die Passhöhe nicht erreicht haben, drehen wir um“. Denish ist einverstanden. Doch der Weg ist völlig vereist. Wir haben jetzt große Mühe in Eis und Schnee den mühseligen Weg nach oben zu bewältigen. Nach einer Stunde sind wir noch immer ca. 100 m unterhalb der Passhöhe. Angesichts der immer schlechter werdenden Wetterbedingungen entschließen wir uns, hier auf 5300 m umzudrehen. Der Weg zum Gipfel würde uns sicher noch eine weitere knappe Stunde abverlangen. Noch ein letztes „Gipfelfoto“ und wir gehen zurück in Richtung Muktinath. Doch das Schlimmste der Tour sollte uns auf dem Rückweg bevor stehen. Bei Eis, brüchigem Firn mit knietiefem Schnee und knöchelhohem Schlamm wird der Rückweg zur Tortour. 1400 Höhenmeter müssen wir bewältigen. Auf einer Hütte in 4000 m Höhe wollen wir uns auf dem Rückweg eine Rast gönnen. Schon auf dem Anstieg sind wir hier heute früh vorbei gekommen und haben uns jetzt richtig darauf gefreut. Ich lasse Denish an mir vorbeigehen, da ich noch einige Bilder machen möchte. Nur wenige Minuten später sehe ich von oben, wie er in Manier eines Sprinters in Richtung Hütte spurtet. Hinter ihm ein wild gewordener Hund, der mit großen Sprüngen sein Opfer verfolgt. Die ganze Situation machte auf mich einen sehr komischen Eindruck. Letztlich konnten er und die Hüttenbesitzer das wild gewordene Tier mit viel Mühe verscheuchen. Einen Biss als Erinnerung an diesen Tag hat es sich dennoch zugezogen. Dieser Biss sollte ihm auch in den nächsten Tagen noch einige Probleme auf unseren weiteren Etappen machen. Das Schicksal meinte es heute gut mit mir, da ich wohl genauso gut das Opfer sein hätte können. Kurz nach Mittag stehen wir wieder erschöpft in Muktinath.
Kaum zu glauben, dass die so genannten Porter, also die Träger anderer Trekkingtouren bis zu 60 Kilogramm über diesen Pass tragen. Angesichts der heutigen Erlebnisse ist das für mich eine unmenschliche Leistung.
Keinen Tropfen Alkohol wird Denish auf der gesamten Tour zu sich nehmen. Hiervon gab es nur eine einzige Ausnahme. In Marpha angekommen, schwärmt er vom bekannten selbst gebrannten berühmten „Apple Brandy“ dieser Gegend. „Ich lade dich natürlich auf ein Glas ein“ mache ich ihm den Mund wässerig. Sichtlich bemüht seine klare Abneigung gegen Alkohol nicht in Frage zu stellen, wird er nach weiterem kurzem Zureden doch plötzlich schwach. Der Geschmack des Brandys sagt mir allerdings nicht so recht zu. Hier in Marpha treffen wir noch auf J.K. Ein junger, freundlicher und immer lustiger Koreaner, der das Land hauptsächlich durch den Sucher seiner Kamera erlebt. Aber schließlich lebt er auch davon, wie er uns erklärt, da er seine Bilder an interessierte Journale und Internetseiten weiterverkauft.
Durch den Kontakt mit seinen Kollegen hat Denish erfahren, dass in den nächsten Tagen gestreikt werden soll. D.h. der öffentliche Verkehr wird für diese Zeit völlig lahm gelegt. Ich mache mir Sorgen, da dieser Streik meine gesamte restliche Reiseplanung durcheinander bringen könnte. Über eine Trekkingagentur versuche ich meinen Rückflug für einige Tage zu verschieben. Damit könnte ich noch Zeit gewinnen, um diesen für mich unvorhergesehenen Streik zu überbrücken. Ich werde sicher in den nächsten Tagen hören, ob es geklappt hat. 
Mittler weile hat sich die Sohle eines meiner Trekkingschuhe durch die langen Tagesmärsche fast vollständig verabschiedet. Ich werde wohl schon bald auf die leichten Halbschuhe, die ich noch im Gepäck habe, zurückgreifen müssen. Hier in Tatopani übernachte ich wie üblich auf dieser „Teahouse Tour“ in Häusern mit einfachen Schlafräumen. Duschen und Waschgelegenheit gibt es teilweise nur durch Wassereimer, oder stehen überhaupt nicht zur Verfügung. Für die Guides ist dieser einfache Standard allerdings nicht vorgesehen. Sie schlafen in der Regel in Gruppen zusammen auf den Zimmern oder auch mal den Gängen des Hauses. Das Essen ist hier, wie auf der gesamten Tour jedoch sehr abwechslungsreich und gut. Neben der asiatischen Küche werden auch immer italienische Gerichte mit angeboten. Auch sonst ist die europäische Küche in Nepal überall vertreten. So wird die nepalesische Pizza in Verbindung mit dem hier sehr beliebten Everestbier eine willkommene Kombination in meiner Speiseplanung. Abwechslung in der Küche gibt es für Denish nicht. Wie jeden Tag auf der Tour und wohl in seinem Leben sind Reis, Gemüse und etwas Fleisch mit Soße die Speise für mittags und abends. Besteck wird bei den Einheimischen nicht benötigt. Hier reicht die bloße Hand völlig aus, um ihr Essen zu sich zu nehmen. Wir freuen uns jedoch jeden Tag auf unser Frühstück mit frischen selbst gemachten Weizenbrötchen mit Milchkaffee.
Hier in Tatopani können wir uns noch in den heißen Quellen relaxen, bevor morgen 1700 Höhenmeter zu überwinden sind. In tausenden von Stufen geht die Strecke am nächsten Morgen mindestens genauso schnell wie mein Puls nach oben. Wir legen wieder mal ein mörderisches Tempo vor und ich kann mein klatschnasses T-Shirt schon nach kurzer Zeit auswringen. Heute werden wir jedoch belohnt, sind wir doch die einzigen an diesem Tag, die vor dem plötzlich einsetzenden Gewitter mit Blitz, Donner und strömenden Regen noch trockenen Fußes in Ghorepani angekommen sind. In gemeinsamer Runde wärmen wir uns am international besetzten runden Tisch auf. Neuseeländer, Chinesen, Engländer, Taiwanesen und Deutsche spiegeln in unserer kleinen Runde wieder, was Trekking in Nepal bedeutet. Die gemeinsame Freude aller Menschen am Abenteuer und an der Natur des Landes und das gegenseitige Interesse und die Hilfsbereitschaft aller über alle Ländergrenzen hinweg. Es ist ein Gefühl der Gemeinsamkeit.  
Um den bekannten Sonnenaufgang über dem Dorf mit Blick auf die Himalaya Bergkette zu erleben, geht es mit Taschenlampen bestückt in den frühen Morgenstunden nach Poon Hill. Auch wenn die Wolken teilweise die Sicht auf das gigantische Bergmassiv verdecken, ist es ein atemberaubender Anblick, sobald sich die ersten Sonnenstrahlen auf den Bergflanken reflektieren. Meine Trekkingschuhe habe ich bereits aufgegeben und wandere fortan mit leichten Schuhen bergab bis nach Lumle. Unsere Befürchtungen haben sich inzwischen bestätigt. Der Generalstreik ist ausgebrochen und so müssen wir die gesamte restliche Strecke bis nach Pokhara zu fuß zurücklegen. Dieser zusätzliche Trekkingtag wäre sicher nicht weiter zu erwähnen gewesen, wären wir nicht dadurch in die Hände der Maoisten geraten. Plötzlich stehen sie vor uns, verlangen „ihren Wegezoll“ und so plötzlich wie sie vor uns stehen sind sie dann auch wieder weg. Wir erreichen Lumle mühelos an diesem Tag. Seit heute morgen sind wir mit zwei Belgiern, Simone aus Hamburg und deren Guides unterwegs. Im einzigen brauchbaren Gästehaus in Lumle reichen die Zimmerkapazitäten allerdings hierfür nicht aus. So suchen sich unsere Guides ein eigenes Quartier und ich übernachte mit Simone im noch schnell ausgeräumten zweiten Gästezimmer des Hauses.             
Zurück in Pokhara erfahren wir, dass der Streik auf unbegrenzte Zeit ausgedehnt wird. So bin ich letztlich froh um die Tatsache, dass die Verlängerung meines Aufenthaltes auch nicht geklärt werden konnte. Es gab schlichtweg keine Möglichkeit eine Telefonverbindung in das Büro von Qatar Air zu bekommen. Ich muss meine restlichen Tage hier völlig neu überplanen. Meinen Trip in den Chitwan Nationalpark werde ich wohl stornieren müssen. 
Ich miete mir für einen Tag in Pokhara ein Fahrrad und breche um 8:00 Uhr auf, um die Vororte der Stadt zu erkunden. An jeder Straßenkreuzung liegen jedoch brennende Reifen, die von Demonstranten angezündet worden sind. Dazu Straßensperren, Militär und Polizei mit Maschinengewehren, Schlagstöcken und Panzer runden das Bild ab. Das Militär geht dabei ohne Rücksicht auf Verluste gegenüber der eigenen Bevölkerung vor. Ich komme hier mit meinem Fahrrad nicht durch, deshalb fahre ich mit einem mulmigen Gefühl zurück in die Stadt. Ich will es in einer Stunde noch mal probieren. Dann ist Curfew, also Ausgangssperre für die Menschen. Ob das auch für mich gilt, weiß ich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 
Eine Stunde später finde ich eine gespenstische Leere in den Straßen der Stadt vor. Alle Menschen hier sind in ihren Häusern verschwunden und beobachten teilweise die Vorkommnisse auf ihren Balkons. Rigoros knüppeln die Militärs auf die wenigen Menschen ein, die sich noch auf den Straßen befinden. Mir geschieht zu meiner großen Erleichterung nichts. Mit einem beklemmenden Gefühl radle ich zwischen brennenden Reifen, den vielen Steinen auf den Straßen und den Militärposten hindurch. Überall ein freundliches Lächeln und einige Kommentare von den Hausdächern der Stadt. Ich bin der einzige Tourist, der hier auf den Straßen unterwegs ist. Welch eine groteske Situation. 
Am nächsten Tag entschließe ich mich mit dem Flieger für 76 Dollar zurück nach Kathmandu zu fliegen. Der Innlandsflug ist die einzige Transportmöglichkeit in diesen Tagen. Und so ist die Fluglinie für die nächsten Tage ausgebucht mit Touristen, die pünktlich zu ihrem Rückflug nach Kathmandu kommen müssen. Denish bleibt in Pokhara mit der Hoffnung, dass der Streik die nächsten Tage vorbei sein wird. Er will anschließend mit dem wesentlich billigeren Bus zurückfahren. Dort wollen wir uns noch vor meiner Abreise treffen, doch dazu wird es nicht mehr kommen. Erst zwei Wochen nach meiner Rückreise lenkt der König ein und gibt dem Volk sein Mitspracherecht zurück. Wochen später wird er vom Parlament weitgehend entmachtet werden. Vor allem das Militär wird ihm aus der Hand genommen. Wieder einmal hat das Volk gesiegt. Doch das hilft mir und Denish heute nichts. Je länger der Streik für ihn dauert, desto länger muss er mit seinem gerade erst verdienten Geld in Pokhara überleben. Jeder zusätzliche Tag hier schmälert seinen Verdienst. Am ende wird er wohl nicht mehr viel nach Hause bringen können.
Ich nutze die restlichen Tage hier im Kathmandu Valley um im zweiten Versuch mit meinem geliehenen Bike doch noch Nagarkot zu finden. Jetzt während der Ausgangssperren sind auch keine stinkenden Zweiräder und Autos unterwegs. So wird die Fahrt ein angenehmes letztes Erlebnis in Nepal. Der letzte steile Anstieg auf Nagarkot wird belohnt durch den Blick auf traumhafte Landschaften und dem Himalaya Massiv in der Ferne.     
Der Chitwan Nationalpark fällt auf meiner Reise leider den politischen Bedingungen zum Opfer – aber wer weiß für was es gut ist, ganz nach dem Motto des Dalai Lama: „Denke daran, dass etwas, was du nicht bekommst, manchmal eine wunderbare Fügung des Schicksals sein kann“.


Share by: