Kilimandscharo

Der Kibo ruft

Auf der Lemosho Rute auf die Höhe von 5895 Meter

Aus meinem Tagebuch

Ein besonderes Reisehighlight soll für mich die Besteigung des 5895 m hohen Kilimanjaro sein und damit des höchsten Punktes in Afrika. Für dieses Vorhaben gibt es 7 verschiedene Routen und eine weit größere Zahl verschiedener Anbieter. Auf „das Dach Afrikas“ kommt man allerdings nur in Begleitung eines zugelassenen Bergführers und bei Bezahlung einer täglichen Parkgebühr. Nach umfangreichen Recherchen im Internet, entscheide ich mich für die Lemosho Route mit dem Anstieg von der Westseite. Diese Route ist relativ lang und bedeutet deshalb in der Regel einen Tag mehr am Berg. Dafür gehört sie zu den landschaftlich schönsten Touren, so beschreiben es jedenfalls die Mitglieder des Mount Kilimanjaro Forums im Internet. Feste Unterkünfte gibt es bei dieser Tour nicht, die Übernachtung ist ausschließlich im Zelt vorgesehen. Für die Wahl meines Tour-Anbieters habe ich mich letztlich für Mawenzi Reisen entschieden, weil sie mir als Einziger die Möglichkeit gaben, als „Selbstträger“, das heißt ohne zusätzlichen Träger meines eigenen Rucksackes, den Kili zu besteigen. Mir war diese Variante sehr wichtig, weil ich mir wirklich nicht vorstellen kann, mich mit dem Fahrrad durch den halben Kontinent zu quälen und anschließend meine Ausrüstung von Dritten nach oben bringen zu lassen. Nein, auch das will ich ganz alleine schaffen. Ich habe meinen Tour Start auf den 31. Januar festgelegt; ob noch weitere Teilnehmer dazukommen werden, steht zum Zeitpunkt meiner Anmeldung allerdings noch nicht fest. Zunächst war ich der einzige Teilnehmer der Tour und ich hoffte zum damaligen Zeitpunkt auch, so wird es bleiben.
Ca. 1000 Euro ist der Pauschalpreis für die 7 Tage am Berg. Dazu kommen noch Trinkgelder für den Führer und einen Koch. Da ich mit dem Rad unterwegs sein werde, kann ich natürlich nicht die komplette Ausrüstung für den Berg mitnehmen. Dies würde erstens mein Volumen in den Satteltaschen sprengen und zweitens müsste ich unnötig viel Gepäck auf der Fahrradtour mitschleppen. Deshalb schickte ich für etwa 50 Euro meine komplette Bergausrüstung vorab mit der Post nach Tansania und bekam auch schon bald danach die Bestätigung, dass mein Paket bei Mawenzi angekommen ist.  Für mich steht fest, ich bin dabei den zweiten Pol, also den höchsten Punkt Afrikas zu erobern und will es so eigenständig wie nur möglich schaffen.

Als ich im Honey Badger Hotel in Moshi ankomme, trifft mein Begleiter Wolfgang aus Neuäß wenig später im Hotel ein.
Er hatte sich ebenfalls übers Internet bei Mawenzi Reisen für diese Tour angemeldet. Ich wusste schon kurz vor meiner Abreise, dass wir auf der Tour zu zweit sein werden, aber dass mit Wolfgang jemand aus einem Augsburger Stadtteil daran teilnimmt, war dann doch sehr überraschend für uns beide. Der Zufall will es scheinbar so. Wolfgang möchte nach der Besteigung des Kilimanjaro noch die große Emigration der Gnus im Serengeti Nationalpark beobachten und hat deshalb diese Anschluss-Tour gebucht. Vorher will er aber auch noch den Arusha Nationalpark besuchen. Und so beschließe ich spontan ihn auf seinem Ausflug dorthin zu begleiten. Auch wenn der Nationalpark für mich kein Highlight darstellt, bleibt mir doch der Safariausflug mit einem bewaffneten Ranger in Erinnerung. 
Am Abend treffen wir dann Valerian, unsere Kontaktperson von Mawenzi Reisen. Er hat zum Glück auch mein Paket mit meiner Bergsteigerausrüstung dabei. Mit Valerian klären wir noch alle Details zur Besteigung des Kilimajaros ab. Er macht uns dabei nochmals deutlich, dass wir auf unserer Zelt-Tour keinen großen Komfort erwarten dürfen. Mit dabei sein werden zwei Bergführer, ein Koch, zwei Träger für Zelte, Kochgeschirr, Essen und Gaskocher und noch ein Träger für Wolfgangs Utensilien. Ich habe mich ja entschlossen, meine benötigte Ausrüstung selbst hinaufzutragen. Er spricht mit uns die Ausrüstungsgegenstände durch und warnt uns abschließend davor, falls wir Diamox dabei hätten, diese Tabletten zusammen mit Kopfschmerztabletten zu nehmen. „Diese Kombination verträgt sich nicht“ – ich habe es verstanden. Als wir am Gate stehen, um über die Lemosho Route den Gipfel in Angriff zu nehmen, bemerke ich, dass ich meine dunkle Sonnenbrille, die ich extra für diese Tour dabei hatte im Hotel liegen lassen habe. Eine Fahrt zurück würde uns Stunden kosten, so signalisiere ich den Guides, dass es auch ohne Brille geht. Schlechte Voraussetzungen für den Gipfelerfolg, doch durch meine Vergesslichkeit habe ich mich nur selbst geschadet. 
Mit Mawenzi Reisen war bereits vereinbart, dass wir mit zwei Bergführer unterwegs sein werden. „Good Luck“ unser erster Guide hat bereits schon elf Jahre Bergerfahrung am Kibo und ist seit vier Jahren als Guide unterwegs. Auch er hat, wie alle anderen Guides, einmal als Träger angefangen. Mittlerweile kommt er auf zwanzig Besteigungen im Jahr. Wir hoffen, dass sein Name ein gutes Omen für uns sein wird. „Douglas“ unser zweiter Guide hat ebenfalls bereits acht Jahre Erfahrungen an diesem Berg gesammelt. Sehr markant sind seine langen Rasta Locken, die er aber zum größten Teil unter einer Wollmütze versteckt. Ein Koch und drei Porter, also Träger, komplettieren unser Team. Ich wollte als „Minimalist“ mit dem geringsten notwendigen Aufwand den Berg besteigen – jetzt sind wir doch ein kleines Team mit sechs weiteren Personen außer uns beiden. 
Am Gate zum Park wird das gesamte Gepäck unserer Gruppe gewogen und anschließend auf die einzelnen Träger verteilt. Dabei wird akribisch darauf geachtet, dass niemand mehr als fünfundzwanzig Kilogramm Lasten nach oben trägt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine ähnliche Regelung in Nepal gibt. Wenn ich mich an meine Trekkingtour dort zurück erinnere, wurden die Träger von ihren Lasten schier erdrückt. Meine Ausrüstung kommt auf ein Gewicht von ca. vierzehn Kilogramm. Ich habe versucht, so viel wie möglich im Hotel zurück zu lassen, dass es beim Aussortieren auch meine Sonnenbrille erwischte, war natürlich nicht vorgesehen. Ich verlasse mich bei der Auswahl meiner Kleidung auf das Zwiebelsystem. Eine Kombination von warmen und regendichter Kleidungsstücke, die ich bei Bedarf übereinander anziehen werde, sollen mich von Wind und Wetter schützen. Nach dem gleichen Prinzip gehe ich auch bei der Auswahl meiner Handschuhe vor. Bis auf die von mir schon seit vielen Jahren eingelaufenen Bergstiefel, verzichte ich auf weiteres Schuhwerk.
Mit einem geländegängigen Jeep fahren wir so weit nach oben, wie weit wir auf den schlammigen, morastigen Straßen kommen. Kurz vor unserem Tour-Start hat es nochmal kräftig geregnet. So sind die Zufahrtswege schon sehr bald nicht mehr passierbar. Wir entladen den Jeep, verteilen die Lasten und gehen ab einer Höhe von knapp über 2000 Meter mit unseren beiden Guides sehr langsam unseren Weg nach oben. „Pole pole“, das heißt langsam, langsam geben sie uns immer wieder zu verstehen. Beide achten sehr akribisch darauf, nicht zu schnell unterwegs zu sein und ständig und viel zu trinken. Viel trinken ist die beste Medizin gegen Höhenkrankheit. Neben dieser Vorbeugungsmaßnahme habe ich noch Kopfschmerztabletten und Diamox dabei – die Kombination, vor der uns Valerian gewarnt hatte. Diamox wird immer wieder als Wundermittel gegen die Höhenkrankheit gehandelt, andere Quellen raten von diesem Mittel allerdings ab. Ich habe nicht vor, es einzunehmen und habe es deshalb auch nur für den absoluten Notfall bei mir. 
Als wir am ersten Abend am 2800 Meter hohen Mekwba Camp oder auch big tree Camp genannt, ankommen, sind meine Finger angeschwollen. Die Schwellung an meinen Fingern ist während des Tages immer schlimmer geworden. Ich führe es auf den großen Höhenunterschied zurück, den wir an diesem Tag absolviert haben. Auch die nächsten Tage bleiben meine Finger so dick, dass ich sie kaum abbiegen kann. Unsere Mahlzeiten nehmen wir während der Tour in einem kleinen Zelt ein, das unser Team hierfür extra mitschleppt. Bequem ist es nicht, aber bei Regen ist es immer noch besser als im Freien zu stehen, oder unser Nachquartier mit Krümeln zu verschmutzen. Gerade Wolfgang, der mich um eineinhalb Köpfe überragt, leidet noch mehr unter der Zwangslage im Zelt. Wenn es das Wetter irgendwie zulässt, bleiben wir beim Essen deshalb außerhalb des Zeltes. Am nächsten Morgen brechen wir nach dem Frühstück auf und ich verspüre nach kurzer Zeit an beiden Füßen, dass mich meine Schuhe an den kleinen Zehen drücken. In den Alpen bin ich schon so viele Touren mit diesen Schuhen gegangen und hatte noch nie Probleme, jetzt, bei meiner wichtigen Kili Tour, habe ich plötzlich Druckstellen. Ich kann es nicht glauben. Vielleicht sind meine Füße auch wie meine Hände etwas angeschwollen und benötigen deshalb jetzt mehr Platz in den Schuhen. Ich beiße die Zähne zusammen, was bleibt mir auch anderes übrig, denn eine echte Alternative drängt sich mir nicht auf. Wir sind mit unseren zwei Guides sehr langsam unterwegs. Immer wieder legen wir eine Trinkpause ein und so überholt uns unser Trägerteam noch während der ersten zwei Stunden am Morgen, nachdem sie die Zelte und die Ausrüstung abgebaut und die Lasten verteilt haben. Bis wir am späten Nachmittag am nächsten Camp angekommen sind, werden unsere Zelte schon längst wieder aufgebaut sein, unser Abendessen vorbereit, und wir werden mit heißem Tee und einem Zwischensnack empfangen. So wird der Ablauf der nächsten Tage sein, bis wir wieder im Tal sind. An den ersten zwei Tagen geht es bis auf eine Höhe von 3000 Meter durch Regenwald mit Baumriesen, riesigen Farnen, Moosen und Schmarotzerpflanzen an den Bäumen. Sie geben ihnen ein bizarres Aussehen. Auch schwarz weiß gestreifte Colobus Affen erspähen wir auf unserem Weg durch den Wald. Anschließend laufen wir durch niedrige Latschenfelder bei stetigem aber flachen Anstieg nach oben. Das Shira II Camp liegt bereits auf 3850 Meter. Auch wenn wir jeden Tag über sechs Stunden unterwegs sind, versuchen wir am Abend noch einige zusätzliche Höhenmeter weiter aufzusteigen, um anschließend wieder ins Camp zurückzukehren. Durch diese Maßnahme sorgen wir für eine bessere Akklimatisierung unseres Körpers. Wolfgang ist, so wie ich selbst, öfter in den Alpen unterwegs und hat sich dadurch auf seinen Touren eine gute Grundkondition angeeignet. Wir beide könnten jederzeit einen Gang zulegen, wenn Good Luck und Douglas dies zulassen würden. 
Auch an diesem Abend bekommen wir wieder heiße Suppe und warmes Essen serviert. Neben Frühstück, unserem Lunchpaket am Mittag und einem Zwischensnack nach Ankunft am Camp ist es unsere vierte Mahlzeit am Tag. Unser Team bemüht sich wirklich sehr, um uns mit bescheidenen Mitteln maximalen Service zu bieten. Für unsere Hygiene steht uns früh und abends eine warme Wasserschale für Gesichts- und Zahnpflege zur Verfügung.   
Am dritten Tag geht es über den Lawa Tower (4500 Meter) ins Barranco Camp (3950 Meter). Wie fast jeden Tag starten wir am Morgen bei wolkenlosem Himmel, der sich dann im Laufe des Vormittages immer mehr eintrübt. Kaum holen wir bei unserer Mittagsrast unser Lunchpaket heraus, fängt es plötzlich zu regnen an. Good Luck und auch Wolfgang hatten in weiser Voraussicht einen Schirm mitgenommen, ich hatte daran leider nicht gedacht. Die Überlegung einen Schirm mitzunehmen ist mir während meiner gesamten Kilimanjaro Planung überhaupt nie in den Sinn gekommen. Bis ich schnell meine Regenjacke überziehe, bin ich bereits völlig durchnässt. Seit Vormittag stellen sich auch ein leichter Kopfschmerz bei mir ein und ich verspüre eine leicht erhöhte Temperatur. Meine Druckstellen an den Zehen schmerzen bei jedem Schritt und so fühle ich mich an diesem Tag „hundeelend“. Als wir am Nachmittag kurz vor unserem Camp stehen, interessieren mich auch die einzigartigen Lobelien und Sukkulenten, die auf dieser Höhe wachsen, nur noch beiläufig. Eingehüllt im Nebel, der am Nachmittag aufgezogen ist, geben sie ein bizarres Bild ab. Ich liege im Zelt und habe alles angezogen, was ich in meinem Rucksack an Kleidung mit mir habe. Ich versuche meine Übelkeit und mein Fieber heraus zu schwitzen. Als es mir am Abend immer noch nicht viel besser geht, nehme ich eine Diamox Tablette (die ich eigentlich nur für den absoluten Notfall dabei habe) und als meine Kopfschmerzen immer stärker werden, nehme ich wenig später noch eine Kopfschmerztablette. Vergessen sind Valerians Worte. Aber mir ist inzwischen so übel, dass ich persönlich meine Chancen auf einen Gipfelerfolg nur noch bei fünf Prozent sehe. Ich muss gegen meinen schlechten Zustand etwas unternehmen. Wolfgang geht es wesentlich besser. Er hat weder Kopfschmerzen noch andere Blessuren, aber seine Leidenszeit sollte an einem anderen Tag noch kommen. Vielleicht liegt meine erhöhte Temperatur auch an der relativ dünnen Iso-Matte, die ich auf der Tour dabei habe. In der Nacht fühle ich den kalten Boden unter mit. Aus diesem Grund lege ich ab heute eine mit Gold beschichtete Rettungsfolie darunter.
Der Morgen empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein und zum Glück sind auch meine erhöhte Temperatur und meine Kopfschmerzen wie weggeblasen. Wie so häufig, hat mein persönliches Hausmittel, die aufkommende Krankheit einfach heraus zu schwitzen, wieder funktioniert. Bei dem tollen Sonnenlicht, nutzen wir nochmals die Chance, die zahllosen exotischen Pflanzen am Barranco Camp mit unseren Kameras einzufangen. Nach dem Frühstück geht es die berühmte Barranco wall, auch Breakfast wall genannt, hinauf. 350 Höhenmeter führt der Weg steil nach oben. Es ist die einzige Passage, bei der wir ein wenig klettern müssen. Auch wenn die Wand für Wolfgang und mich kein besonders schweres Hindernis darstellt, haben wir für die Träger jedoch allen Respekt. Mit den Lasten auf dem Kopf immer in Balance zu bleiben und kaum die Hände zur Unterstützung einzusetzen, erfordert schon sehr viel Geschick und Konzentration. Am Barranco Camp kommen auch die Bergsteiger der Umbwe Route und der Machame Route mit dazu. Deshalb gibt es auch wesentlich mehr Tour Teilnehmer am Berg. Nicht alle bringen für einen erfolgreichen Gipfelanstieg die richtigen Voraussetzungen mit. Mir fällt ein älteres Ehepaar auf, das sich 30 Minuten vor uns auf den Weg zur Barranco wall macht und die wir in kürzester Zeit eingeholt haben. Aufgestützt auf seinen Stöcken holt der Mann tief Luft, um anschließend wieder wenige Meter bis zur nächsten Pause anzugehen. Wie sie zum Gipfel kommen möchten, ist mir absolut schleierhaft. Wir gehen heute bei leichtem Graupelschauer am Nachmittag bis ins Barafu Camp auf eine Höhe von 4600 Meter. Unseren ursprünglichen Plan, eine weitere Übernachtung im Krater Camp auf 5700 Meter einzulegen, haben wir aufgegeben. „Sieben von zehn Teilnehmern steigen noch in der Nacht wegen Übelkeit ab“, erklärt uns Good Luck. „Für eine Übernachtung auf dieser Höhe ist der Körper nach den wenigen Tagen am Berg noch nicht genug akklimatisiert“, versucht er uns zu überzeugen. „Außerdem ist die Übernachtung im Zelt eiskalt“. Seine im gebrochenen Englisch vorgebrachten Überzeugungsversuche hören sich schon sehr vernünftig an. Und so beschließen wir, uns seiner Erfahrung zu beugen. Neben diesen Gründen wäre auch die logistische Herausforderung ein großes Problem. Ein Großteil des Teams müsste mit Kocher, Essen und Zelt ebenfalls diesen steilen Anstieg zum Krater Camp bewältigen, während sie sich sonst im Barafu Camp tagsüber ausruhen könnten.
Auch am Barafu Camp steigen wir am Nachmittag noch einige zusätzliche Höhenmeter zur besseren Akklimatisierung nach oben. Mir geht es wieder relativ gut, abgesehen von meinen Druckstellen an den Zehen. Sie schmerzen von Tag zu Tag mehr und mittlerweile sind auch beide Nägel meiner kleinen Zehen blau. Sie werden wohl nach der Tour abgehen. Ich verspüre leichte Kopfschmerzen, aber das ist wohl auf dieser Höhe völlig normal. Good Luck kommt am Abend nochmals in unser Zelt und spricht die Einzelheiten mit uns durch. Um Mitternacht wollen wir, wie auch alle anderen hier, zum Gipfelanstieg aufbrechen. Er checkt nochmals unsere Ausrüstung und bringt mir einen weiteren Pullover eines Teamkollegen vorbei. Zwei Paar Handschuhe, zwei Hosen, mehrere Pullis, einen Parker und eine warme Sturmmütze lege ich für den Gipfelanstieg um Mitternacht zurecht.
Wir gehen früh zu Bett, können aber nur wenig Schlaf finden. Zu groß ist die Anspannung auf die Geschehnisse der nächsten Stunden. Nach einem heißen Tee geht es endlich los. Unsere Trinkflaschen sind gefüllt, wir haben unser Restgepäck auf das Nötigste reduziert. Wie an einer Perlenschnur gezogen, reihen sich unsere Stirnlampen in die lange Kette der Gipfelstürmer ein und geben uns in der Dunkelheit für ein paar Meter Sicht. Es ist eiskalt und der kalte schneidende Wind senkt die gefühlte Temperatur nochmals um einige Grade. Ich bin froh um jedes Stück Stoff an meinem Körper. Besonders meine dicke Sturmmütze möchte ich heute Nacht nicht missen. Langsam gehen wir, Schritt für Schritt nach oben. Es ist ein langer und steiler Weg. Wolfgang, der sich auf der gesamten Tour immer sehr gut gefühlt hat, wirkt heute etwas angeschlagen. Immer wieder klagt er über Magenprobleme und muss deshalb auch öfters die Toilette aufsuchen. Für mich sind diese kleinen Pausen willkommene Erholungen, zumal die Luft ab 5000 Meter deutlich dünner wird und damit die Anstrengung immer größer. Das ständige An- und Ausziehen hat merklich an Wolfgangs Kräften gezehrt, er macht deshalb einen ziemlich ausgelaugten Eindruck. Auch mir fällt ab einer Höhe von 5500 Meter jetzt jeder Schritt schwerer. Ich muss mich konzentrieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Good Luck und Douglas schauen uns immer wieder an und prüfen unsere Fitness. Dabei geht es auch Douglas an diesem Tag sehr schlecht. Obwohl er sich mehrmals im Jahr auf dieser Höhe befindet, hat er jetzt mit der Atmung große Probleme. Er glaubt ein Lungenödem bekommen zu haben. Endlich sind wir am Stella Point, ca. 200 Höhenmeter unter dem Gipfel angekommen. Good Luck versucht Wolfgang zu überreden umzudrehen. Ihm ist sein relativ schlechter Zustand natürlich nicht verborgen geblieben. Doch Wolfgang überzeugt ihn, auch noch die letzten Meter zum Gipfel mitzukommen. So kurz vor seinem Ziel will er natürlich nicht zurück. Auch ich bin an meiner Leistungsgrenze angekommen und will nur noch den Uhuru Peak erreichen. Ich hoffe es geht nach dem Stella Point nicht mehr so steil nach oben. Ursprünglich hatten wir uns als weiteres Ziel noch den Reusch Krater vorgenommen, falls wir uns am Uhuru Peak gut fühlen sollten. Wir fühlen uns nicht gut, jedenfalls nicht im Augenblick und so ist unser zweites Ziel nicht mehr von großer Bedeutung. Außerdem bin ich ohne Sonnenbrille unterwegs und deshalb auch nicht für einen längeren Aufenthalt am gletscherbedeckten Gipfel ausgerüstet. Wir gehen am Rebmann Gletscher vorbei, so kurz vor Sonnenaufgang ein imposanter Eisblock, der sich zu unserer linken zeigt. Glücklicherweise werden meine Hoffnungen erfüllt, es geht ab dem Stella Point nur noch mäßig bergauf und ich bin mir deshalb ab diesem Zeitpunkt hundertprozentig sicher, den Gipfel auch zu erreichen. Pünktlich zum Sonnenaufgang um 6:30 Uhr stehen wir am Uhuru Peak auf 5895 Meter Höhe, auf dem höchsten Punkt des afrikanischen Kontinents. Wir sind stolz und glücklich, wir umarmen uns und beglückwünschen uns gegenseitig. Ich habe das Gefühl, tausende Glückshormone werden augenblicklich freigesetzt. Dazu kommt das imposante Schauspiel der aufgehenden Sonne, die durch ihre Sonnenstrahlen die Eisblöcke in rötlichem Glanz erscheinen lassen. Nach den obligatorischen Gipfelfotos spiele ich auf meinem Handy die bayerische und die tansanische Nationalhymne ab. Good Luck und Douglas sind darüber so erfreut, dass sie den Text ihrer Nationalhymne mitsingen. „Wir müssen wieder runter“, mit diesen Worten von Good Luck werden wir wieder aus unserer Euphorie gerissen. Wir sollten uns seiner Meinung nach nicht zulange auf dieser Höhe aufhalten, dazu sind wir noch nicht genügend akklimatisiert. Wir steigen über das Krater Camp und den Furtwangler Gletscher wieder ab. Auch dieser Gletscher hat ein imposantes Ausmaß, ist aber, wie alle anderen Gletscher auf dem Kilimanjaro, am Schmelzen. Senkrecht wie eine monumentale Wand ragt er aus dem grauen Vulkangestein empor. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir dieses Naturspektakel auch in ferner Zukunft noch bewahren können. 
Nachdem wir uns entschlossen haben, nicht mehr zum Reusch Krater weiterzugehen, geht es wieder über den Stella Point auf gleichem Weg zurück ins Camp. Erst jetzt bei Tageslicht erkennen wir, wie steil es in den Morgenstunden nach oben ging. Douglas schlägt ein hohes Tempo an, dem ich folge. Good Luck und Wolfgang kommen mit einigem Abstand hinterher. Ich kann natürlich nicht wissen, dass es Douglas mittlerweile so schlecht geht, dass er sich entschließt, noch am gleichen Tag ins Tal in ein Krankenhaus abzusteigen. Ich bin erschöpft am Barafu Camp angekommen und lege mich in unser Zelt. Wolfgang kommt einige Zeit später ebenfalls völlig ausgepumpt und entkräftet ins Zelt. So schwer hatte er es sich nicht vorgestellt, gibt er mir zu verstehen, legt sich auf seine Isomatte und versucht sich wieder zu regenerieren. Am Nachmittag steigen wir über die Mweka Route bis ins nächste Camp (Mweka upper Camp) auf 3800 Meter Höhe ab. Am nächsten Morgen klingen a Capella Gesänge aus allen Ecken des Camps. Am letzten Tag feiern die einzelnen Gruppen die mehr oder weniger erfolgreiche Mission durch musikalische Darbietungen ihrer Führer und Träger. So manche größere Touristengruppe lässt es sich jedoch nicht nehmen, ebenfalls die eine oder andere Darbietung zum Besten zu geben. Uns fällt dabei eine größere Gruppe Träger neben unseren Zelten auf. Ca. 15-20 einheimische Träger singen und tanzen und tragen mit großer Leidenschaft ihre bekannten Kilimanjaro Lieder ihren Kunden vor. Erst später erkennen wir, dass es sich um lediglich zwei Amerikaner handelt, die ein Team mit 16 Trägern und Guides für ihr Vorhaben zusammengestellt hatten. Sie wollten auf ihrer Zelt Tour auf so wenige Annehmlichkeiten wie möglich verzichten. Auf unserem weiteren Abstieg kommen wir dann nochmals bei einem mit Tischdecke und reichlich gedecktem Tisch vorbei. Die zwei Jungs haben sich schon mal ein zweites Frühstück vorbereiten lassen auf ihrem Weg nach unten. Hier sehen wir das Gegenteil unserer Bergsteiger-Philosophie, mit so wenig fremder Hilfe wie möglich den Berg zu erklimmen. Ich leihe mir die Turnschuhe von Good Luck aus, sie sind mir um mindestens drei Schuhnummern zu groß. Aber gerade auf diesem langen Weg ins Tal schmerzt jeder meine Zehen im Bergschuh. So halte ich die Schmerzen in einem erträglichen Maß. Neben einem Regenschirm würde ich jedenfalls auch bequeme Turnschuhe in mein nächstes Kili-Berggepäck mit einpacken, stünde ich nochmals vor der Planung dieser Tour.
Und auch eine weitere Erkenntnis habe ich in mein Tagebuch eingetragen. Auch wenn die klettertechnischen Anforderungen am Berg als gering einzustufen sind. Um auf den Gipfel zu kommen, müssen schon enorme körperliche Anstrengungen unternommen werden. Eine Urkunde der Gipfelbesteigung, viele Bilder und tolle Eindrücke von diesem eindrucksvollen Erlebnis werden uns hoffentlich noch lange im Gedächtnis bleiben, nur die Erinnerungen an die täglichen Strapazen, um bis ganz hinauf zu gelangen, werden zum Glück allmählich verblassen. Im Hotel angekommen, gönnen wir uns erstmals nach einer Woche ohne vernünftige Waschgelegenheit eine heiße Dusche und anschließend stoßen wir mit einem kühlen Kilimanjaro Bier auf unseren Erfolg an, auch weil wir inzwischen erfahren haben, dass es Douglas wieder wesentlich besser geht. 
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